JULIA COLLECTION Band 10
sicher sein. Irgendwie tröstete ihn das. Denn die Vorstellung, sie unter vier Augen um ein Rendezvous zu bitten, war wesentlich angenehmer, als sie in einem Raum voller Menschen danach zu fragen, die dann alle ihr hysterisches Lachen hören würden. So erfuhr wenigstens niemand von dem demütigenden Augenblick.
Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Dann ging er auf den Seitenweg zu, der um das Wohnhaus herum zu den Ställen führte. Am Ende des Weges befand sich ein Tor, an dem sich immer ein Mann vom Sicherheitsdienst aufhielt. Heute hatte Jed Dienst, ein großer, feister Kerl, der alle Pferdebesitzer vom Sehen kannte.
„Schönen guten Tag, Mr. Mandretti“, begrüßte er Rico und öffnete ihm das Tor. „Sie sind ein bisschen spät dran. Alle anderen befinden sich bereits im Haus beim Lunch.“
Das hörte Rico mit Betroffenheit, bis ihm bewusst wurde, dass Jed von seinem Platz aus gar nicht alle Ställe überblicken konnte. Ohnehin blieb Renée meist nicht vor den Boxen stehen, sondern ging hinein, wenn sich die Tiere ruhig verhielten.
„Das ist nicht schlimm, Jed“, sagte Rico im Vorbeigehen. „Ich bin heute nicht zum Essen gekommen. Bis dann.“
Im Innenhof war nur ein Pferdepfleger. Man hatte wohl einige Tiere zu Showzwecken auf dem Gelände herumgeführt, und der junge Mann entfernte jetzt die Pferdeäpfel. „Sie sind ja noch schwer am Arbeiten, Neil“, sagte Rico beim Näherkommen.
Erstaunt und erfreut zugleich sah Neil auf. „Hallo, Mr. Mandretti“, begrüßte er Rico dann und hielt inne, damit nicht versehentlich Pferdedung auf die edle Hose des TV-Stars geriet. Neil mochte Mr. Mandretti fast genauso, wie er Mrs. Selinsky mochte. Im Gegensatz zu den anderen, meist hochnäsigen Besitzern erinnerte sich Mr. Mandretti immer an seinen Namen. Außerdem war er nett und freundlich, und man hätte nie gedacht, dass es sich bei ihm um einen bekannten Fernsehstar handelte. Natürlich konnte er Mrs. Selinsky nicht überbieten. Sie war eine echte Lady und so großzügig. Jedes Mal wenn eines ihrer Pferde ein Preisgeld errang, erhielten die Pferdepfleger ein Handgeld.
Aber es lag nicht nur an ihrem großzügigen Umgang mit Geld, dass sie bei den Mitarbeitern so beliebt war, sondern auch an ihrer Art, mit Pferden umzugehen. Die Tiere lagen ihr wirklich am Herzen, und sogar der Chef mochte Mrs. Selinsky, sonst würde er sich nicht so häufig mit ihr unterhalten. Normalerweise verabscheute er es, seine Zeit mit Kundengeplauder zu vertun.
„Sie sind bestimmt gekommen, um sich Ihren Hengst anzusehen“, mutmaßte Neil nun. „Mrs. Selinsky ist immer noch bei ihm. Ich glaube, sie würde in der Box übernachten, wenn der Chef es erlauben würde.“
In diesem Augenblick beschloss Rico – sollte es so etwas wie Wiedergeburt geben –, das nächste Mal als eines von Renées Rennpferden auf die Welt zu kommen. „In welcher Box befindet sich Blackie denn?“ Blackie war Ebony Fires Stallname.
„In der Nummer achtzehn. Das ist die letzte Box da drüben. Wenn er diesmal so gut läuft, wie es sein Aussehen verspricht, haben Sie da ein Tier erster Klasse.“
„Das wollen wir doch hoffen, Neil. Leider spielen zwischen der Übungsrennbahn und dem Verleihen der Siegerschärpe noch viele Faktoren eine Rolle.“
„Da haben Sie wohl recht. Es ist alles ein Glücksspiel. Ein bisschen wie im Leben.“
Rico nickte. „Und manchmal gehört man zu den Gewinnern und manchmal zu den Verlierern.“ Doch wenn man sich vorher schlau machte, erhöhte das die Gewinnchancen. Plötzlich wünschte Rico, mehr über Renée zu wissen. Darüber hätte er sich allerdings vorher Gedanken machen sollen.
Trotz seiner wachsenden inneren Anspannung winkte er Neil zum Abschied zu und machte sich auf den Weg zu Ebony Fires Box. Einige der Pferde wieherten, als er an ihnen vorbeiging. Auf den ersten Blick sah Ebony Fires Box leer aus. Aber sobald sich Ricos Augen an das Dämmerlicht im Stall gewöhnt hatten, erkannte er, dass der schwarze Hengst auf einer dicken Strohmatratze in der hinteren Ecke der Box stand, während Renée ihm die Flanke streichelte. Dabei redete sie mit sanften Worten auf das Tier ein wie auf ein geliebtes Kind.
Den linken Arm hatte sie ihm um den Hals gelegt und die Wange an seine glänzende schwarze Mähne geschmiegt. „Du bist so ein schöner Junge“, flüsterte sie zärtlich. „Ward hat gesagt, nichts würde darauf schließen lassen, dass deine Sehnenentzündung wiederkommt, und du würdest schon bald dein
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