JULIA COLLECTION Band 10
meisten war sie ihm wohl selbst zugetan. Natürlich hätte Teresa es den anderen gegenüber nie zugegeben, aber Enrico nahm einen ganz besonderen Platz in ihrem Herzen ein – wahrscheinlich, weil er ihr Jüngster war. Mit den zehn Jahren Altersunterschied zu seiner jüngsten Schwester hatte ihm Teresa viel Zeit widmen können. Als kleiner Junge folgte er ihr wie ein Hündchen, und Mutter und Sohn bauten einen besonders innigen Kontakt auf.
Enrico konnte ihr auch heute nichts vormachen. Abgesehen von seiner schon verdächtigen Appetitlosigkeit stimmte etwas nicht, wenn er samstagnachmittags nicht auf die Rennbahn ging. Die Intuition sagte ihr, dass es mit einer Frau zu tun haben müsse. Wahrscheinlich mit dieser Renée, von der er so oft redete, die er ihr aber noch nie vorgestellt hatte. Dabei war ihr aufgefallen, dass Enricos Stimme immer einen ganz merkwürdigen Klang bekam, wenn er von ihr sprach. Ansonsten wusste Teresa nur, dass die Frau jeden Freitagabend mit ihm pokerte und zu ihrer Eigentümergemeinschaft gehörte.
Direkt nach Renée zu fragen hielt Teresa für Zeitverschwendung. Mit seinen vierunddreißig Jahren war ihr jüngster Sohn längst zu alt, um sich in Herzensangelegenheiten seiner Mutter anzuvertrauen – was sie bedauerlich fand. Hätte er sie nur um Rat gefragt, ehe er sich auf diese Jasmine eingelassen hatte, wäre ihm viel Herzschmerz erspart geblieben.
Die Frau war vielleicht ein Miststück gewesen! Aber clever, das musste Teresa ihr lassen. Bis zur Hochzeit verhielt sie sich, als könnte sie kein Wässerchen trüben, und war bei den Familientreffen ganz liebreizend gewesen. Danach kam sie zunehmend seltener und ließ sich dafür immer fadenscheinigere Ausreden einfallen, bis sie schließlich unentschuldigt wegblieb.
Glücklicherweise war sie inzwischen Geschichte. Auch wenn Teresa im Allgemeinen nichts von Scheidung hielt, war dieser Schritt manchmal einfach unumgänglich. Trotzdem wollte sie nicht, dass Enrico den gleichen Fehler zweimal beging und sich wieder mit einer Frau einließ, die nicht zu ihm passte.
„Hast du gestern Abend Karten gespielt?“, fragte sie nun, während sie sich bückte, um Minzeblätter zu zupfen.
„Natürlich!“, antwortete er, ohne dass sie daraus schlauer geworden wäre.
„Und Charles geht’s gut?“ Charles war der einzige von Enricos Pokerfreunden, den Teresa persönlich kannte, obwohl sie die drei schon mehrmals eingeladen hatte. Diese Renée war ein bisschen wie Jasmine und ließ sich immer eine Entschuldigung einfallen. Der andere Mann, ein arabischer Scheichsohn, hatte ihre Einladung ebenfalls jedes Mal ausgeschlagen – wobei sie dessen Beweggründe verstand.
Enrico hatte ihr erklärt, Prinz Ali lebe sehr zurückgezogen, weil er so reich war. Anscheinend konnte der arme Mann nirgends ohne seine Leibwächter hingehen. Was für ein schreckliches Leben!
Auch ihr Sohn wurde häufig von Journalisten oder Fotografen belästigt, aber er konnte immer noch tun und lassen, was er wollte, ohne um sein Leben fürchten zu müssen.
„Charles geht es sehr gut“, antwortete Enrico nun. „Seine Frau erwartet ein Baby. In sechs Monaten ist es so weit.“
„Wie schön für die beiden!“, rief Teresa und kam zu dem Schluss, dass sie zu alt war und zu sehr Italienerin, um noch lange um den heißen Brei herumzureden. „Und wann hörst du endlich mit deinen Dummheiten auf und heiratest, mein Junge?“
Er lachte. „Tu dir bloß keinen Zwang an, Mum, und sprich aus, was du auf dem Herzen hast.“
„Ich will dir nicht zu nahe treten, Enrico, aber du bist jetzt vierunddreißig Jahre alt und wirst nicht jünger. Du brauchst eine Frau, die gern zu Hause bleibt und dir Kinder schenkt. Ein Mann mit deinem Aussehen und deinem Erfolg sollte doch in der Lage sein, eine passende junge Frau zu finden. Wenn du willst, höre ich mich bei unseren Verwandten in Italien nach einer geeigneten Kandidatin um.“
Teresa hielt eigentlich nicht viel von arrangierten Ehen und glaubte zumindest bis zu einem gewissen Grad an eine Liebesheirat. Aber das sagte sie ihrem Jüngsten besser nicht.
„Jetzt fang bloß nicht mit dem altmodischen Quatsch an, Mum! Wenn ich überhaupt wieder heirate, dann eine Frau meiner Wahl und aus Liebe.“
Er mochte ja italienisches Blut in den Adern haben, aber in mancher Hinsicht war er doch ganz Australier. So nannte er seine Eltern zum Beispiel immer Mum und Dad, im Gegensatz zu seinen älteren Geschwistern, die als Anrede Mamma und Papa
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