JULIA COLLECTION Band 20
nicht. Wenn ich das Regal nach hinten kippe, ziehst du die Schubkarre darunter weg und wartest, bis ich wieder rumkomme und alles im Griff habe.“
Nur über meine Leiche, das sagte ihm Martys Blick.
Mit der Schubkarre hätte man auch einen Kühlschrank transportieren können, vorausgesetzt, er war gut ausbalanciert. Aber bei einem zweimal zwei Meter großen Regal konnte das einfach nicht gut gehen.
„Wo willst du denn damit überhaupt hin?“
„Ins Wohnzimmer.“
„Jetzt? Wieso?“
Marty schüttelte nur den Kopf. Sie konnte es sich ja selbst kaum erklären. „Es muss hier durch. Halte es noch kurz, bis ich den Läufer weggezogen habe.“
Ein paar Minuten später stand das erste der Bücherregale zusammen mit dem Sofa, drei Sesseln und zwei Tischen im Wohnzimmer. Es wirkte monströs.
Ein erster Schritt, dachte Marty. Damit beginnt jede Reise. Ihr Blick ging zu Cole, der mit verschränkten Armen dastand und offenbar nichts von Martys Initiative hielt.
Leicht verlegen wandte sie den Blick ab. „Ich hatte vergessen, wie groß es ist“, brachte sie leise hervor. „Was soll ich denn bloß mit all den anderen machen?“
„Möchtest du meinen Rat hören? Dann warte, bis ich sie alle gekürzt habe und wir hier Platz geschaffen haben.“ Cole trat hinter sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sanft massierte er ihr den verspannten Nacken. „Du darfst nichts überstürzen. Nächstes Mal lässt du dir gleich von mir helfen.“
„Okay, dann will ich dich jetzt nicht länger von der Arbeit da oben abhalten. Hier gibt es genug für mich zu tun.“ Und ich käme viel leichter voran, wenn ich unter diesen magischen Fingern nicht dahinschmelzen würde, dachte sie. Ein leiser Seufzer kam ihr über die Lippen, als Cole eine besonders verspannte Stelle lockerte.
„Sei nicht immer so verdammt stur.“
„Ich bin nicht stur, ich will die ganze Arbeit nur nicht bis zum letzten Moment aufschieben.“
Er ließ die Hände von ihren Schultern gleiten und umarmte sie von hinten. „So, du bist nicht stur, ja?“
„Also schön, ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte die ganzen Möbel erst nach oben schaffen sollen, aber ich wollte unbedingt einen Eindruck davon bekommen, wie sich die Regale hier drin machen.“
Als er leise lachte, erstarrte sie. „Schweig lieber, Cole. Okay, das alles ist ein riesiger Fehler – wahrscheinlich der größte meines Lebens.“ Marty schniefte und wünschte, sie hätte ein Taschentuch. Ihr wurde das alles zu viel. Ihre Zuversicht löste sich allmählich in Luft auf. Hatte sie nicht gestern noch Pläne für die Ladenräume gezeichnet? Hier am Fenster der Verkaufstresen, alte Romane im Sonderangebot im Esszimmer, Neuerscheinungen, sobald sie sich die leisten konnte, direkt am Eingang. Bestimmt würden die Kunden in einen Kaufrausch verfallen.
Bisher hatte sie allerdings nur eines geschafft: Sie hatte ihr einziges größeres Besitztum, ihr Haus, zur Hälfte eingerissen. Tränen traten ihr in die Augen, und sie konnte nichts mehr erkennen.
Ohne ein Wort drehte Cole sie zu sich herum.
Marty wusste selbst nicht, wieso sie ihre Gefühle in letzter Zeit nicht mehr unter Kontrolle hatte. Entweder aß sie nicht richtig, oder sie schlief nicht genug. Oder kam sie etwa schon in die Wechseljahre? Das fehlte ihr gerade noch!
„He.“ Sein warmer Atem streifte ihr Haar. „Wir sind doch schon ganz schön vorwärtsgekommen. Soll ich dir helfen, deine Möbel gleich jetzt nach oben zu schaffen? Den Schaukelstuhl lassen wir hier. In den setzt du dich dann und planst, wie alles aussehen soll.“
„Das ganze Zeug kann doch noch gar nicht nach oben, bevor du dort fertig bist.“ Fast wünschte sie sich, Cole wäre nicht so hilfsbereit. Allmählich gewöhnte sie sich daran, sich auf ihn zu verlassen. Und das war ein Fehler.
„Wir legen Laken über die Möbel, damit sie nicht so sehr einstauben. Und solange ich mit deiner neuen Küche noch nicht fertig bin, kannst du doch deine alte hier unten benutzen.“
Es klang mitfühlend, und Mitgefühl bewirkte bei Marty immer, dass sie die Fassung verlor. Sie konnte sich nicht erinnern, wann das das letzte Mal geschehen war, denn ihre Freundinnen vermieden es tunlichst, es bei Marty so weit kommen zu lassen. Wenn Marty tatsächlich einmal zu weinen anfing, was selten geschah, dann konnte man nur noch in die Rettungsboote flüchten.
Cole ließ sie sich ein paar Minuten lang ausheulen und versuchte erst gar nicht, sie zu beruhigen. Tröstende Worte
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