JULIA COLLECTION Band 20
Kleinmädchenträume hatte sie schon genug Sorgen.
Ihr Abendessen bestand aus einem halben Glas Buttermilch und ein paar alten Salzcrackern. Als sie Kell ins Haus kommen hörte, lag sie mit einem Buch im Bett und hatte dieselbe Seite schon drei Mal gelesen.
Noch bevor sie schnell das Licht ausschalten konnte, klopfte er an ihre Tür.
„Daisy? Ich bin zurück. Die Haustür habe ich abgeschlossen, okay?“
Daisy fühlte sich so verlegen, als sei ihre Zimmertür durchsichtig. „Ich dachte, du wärst bereits abgereist.“
„Das würde ich doch nicht tun, ohne mich zu verabschieden. Ich war bei den Outer Banks, um zu sehen, wo mein Dad immer geangelt hat.“
Daisy wartete mit angehaltenem Atem. Kell ging immer noch nicht. „Wahrscheinlich hat sich seitdem dort alles vollkommen verändert.“
„Wahrscheinlich.“ Einen langen Moment schwieg er. „Gute Nacht.“
Obwohl seine Stimme durch die dicke Mahagonitür gedämpft wurde, verspürte Daisy dieses ganz besondere Kribbeln. „Gute Nacht.“
Als sie Stunden später endlich einschlief, träumte sie von Kell. Er trug Cowboystiefel und einen Cowboyhut und sonst gar nichts. Er stand in der Küche mit einer Fleischgabel in der Hand, und dann ritt er zusammen mit ihr auf einem großen weißen Hengst davon.
Als Daisy am nächsten Morgen aufwachte, war Kell schon fort. Es ist mein gutes Recht, nachzusehen, ob seine Sachen noch da sind, sagte sie sich und öffnete seine Zimmertür. Denn wenn er weg ist, kann ich sein Bett abziehen und das Bettzeug zusammen mit meinem waschen.
Sie nahm sich fest vor, diesmal die Luft anzuhalten.
Die Lederjacke war weg, aber über der Stuhllehne hing ein Hemd, und die Reisetasche war auch noch da. Auf dem Nachttisch lagen drei der Fotoalben. Daisy versuchte, nicht zu überlegen, was er gerade tat. Offenbar ging er ihr aus dem Weg. Anscheinend funktionierte zumindest bei einem von ihnen noch der Verstand.
Faylene war mit ihrer Arbeit im Haus so gut wie fertig, die Kühltruhe war endlich leer und taute ab, die Speisekammer war auch ausgeräumt. Daisy ging ins Bad und zog sich aus, um zu duschen. Sie blickte ganz bewusst nicht zu der Tube Duschgel und der unparfümierten Seife. Einen Aufruhr der Gefühle konnte sie jetzt am allerwenigsten gebrauchen.
Gerade als sie sich die Haare trocknete, klopfte jemand an die Badezimmertür. Daisy schaltete den Föhn aus, und schon hörte sie diesen aufregenden Bariton. „Daisy, bist du da drin?“
„Was gibt’s denn?“ Sie hatte ihn ja kaum zu Gesicht bekommen, seit er am Montagabend voller Freude über seine Entdeckungen in der Highschool nach Hause gekommen war.
„Ich will zu diesem Imbiss fahren, der belegte Baguettes und Grillzeug verkauft. Soll ich dir etwas mitbringen?“
Das war typisch für Kell. Er wusste, dass Daisy alles aus Harveys Kühlschrank, Tiefkühltruhe und Speisekammer aufbrauchen wollte, dennoch nahm er es nicht als selbstverständlich hin, dass er immer zum Essen eingeladen war.
„Daisy? Bist du in den Abfluss gerutscht?“
„Nein. Hör mal zu. Es findet ein Box Supper statt. Kennst du die Kirche in der Water Street? Davor ist ein großer Parkplatz, und seitlich von der Kirche ist eine große Picknickfläche. Versuch doch dein Glück dort, dann brauchst du nicht bis nach Barco zu fahren.“ Daisy legte den Föhn zur Seite und begann, ihr Haar zu bürsten. Sie konnte Kells Anwesenheit vor der Tür fast spüren.
„Ein Box Supper? Mal sehen.“
Daisy zog den Gürtel ihres Morgenmantels fest.
Als sie nichts erwiderte, rief er: „Tja, dann sehen wir uns später. Es sei denn, du möchtest, dass ich sofort ausziehe.“
Einerseits wollte sie das, andererseits auch nicht. „Morgen reicht!“, rief sie zurück. Es klang hoffentlich gelassen genug. Wenn er morgens gleich wegfuhr, konnte sie tagsüber die letzte Ladung Wäsche waschen und abends selbst ausziehen.
„Okay. Danke.“
Daisy sah ihn fast vor sich. Die Arme vor der Brust verschränkt, die blauen Augen halb geschlossen und die Füße übereinandergeschlagen. Er mochte harmlos wirken, aber ein Mann wie Kell Magee stellte für jede Frau eine Gefahr dar.
„Viel Spaß beim Box Supper.“
Daisy ließ die Schultern sinken und schaute in den beschlagenen Spiegel. Sie konnte sich viele Dinge vorstellen, wie Kell und sie den letzten gemeinsamen Abend verbringen konnten. Aber ein Box Supper gehörte nicht dazu.
Faylene hielt ihren Handspiegel hoch und betrachtete ihre Rückseite im großen Spiegel an der
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