JULIA COLLECTION Band 20
Kontrolle und zeigte auf die oberste Reihe. Dann las er vor, was unter dem Foto eines Jungen mit wirrem Haar und einem Grübchen im Kinn stand: „‚Evander Lee Magee, Mitglied im Radio-Club, im Foto-Club, beim Bogenschießen.‘ Siehst du das Kinn? Mit ein paar Pfunden mehr und nach einer ganzen Reihe von Jahren sieht er genauso aus wie mein Dad. Ein Farbfoto wäre schön, aber sogar in Schwarzweiß kann man erkennen, dass er rote Haare und Sommersprossen hatte.“
„Wirklich? Hatte er die?“
„Natürlich. Das Einzige, was ich von ihm geerbt habe, ist die Augenfarbe. Und dieses Grübchen im Kinn.“ Kell berührte die Kerbe in seinem Kinn und stellte fest, dass er sich dringend rasieren musste. „Und ich habe noch mehr herausgefunden.“ Er blätterte zu den Fotos von zwei anderen Schülern. „Die beiden leben in Elizabeth City. Ich habe ihre Nummern im Telefonbuch gefunden.“ Er beugte sich über sie, um ihr die Bilder der noch lebenden Klassenkameraden zu zeigen. Dabei streifte ihr Po ihn vorn an der Jeans, und Kell schnappte nach Luft. Ihr Duft nach Rosen wurde nicht ganz vom Duft des Hähnchens überdeckt.
Als Daisy ihm in die Augen sah, stieß sie fast mit seinem Gesicht zusammen. Brennendes Verlangen überkam Kell. Daisys Blick drückte Verunsicherung aus.
„Daisy.“
Sie spürte die Vibrationen seiner Stimme im ganzen Körper. „Nein. O nein.“ Allerdings wich sie nur sehr zögerlich etwas zurück, und plötzlich lag sie in Kells Armen.
„Ich hatte gehofft, mir das alles nur eingebildet zu haben.“
Fast resigniert schüttelte Daisy den Kopf. Sie hatte sich überhaupt nichts eingebildet. Doch bevor sie antworten konnte, zog Kell sie an sich und küsste sie. Erst berührte er sie nur ganz sanft mit seinen warmen Lippen, dann drang er behutsam mit der Zunge in ihren Mund vor. Sein Kuss wurde fordernd, und das leichte Kitzeln seiner Bartstoppeln löste bei Daisy eine wohlige Gänsehaut aus.
Der Geschmack seiner Lippen erinnerte Daisy an Sommerabende, an Glühwürmchen und den Duft von frisch gemähtem Gras und Geißblatt. Sie spürte Kells Hände auf ihrem Rücken und dann auf ihrem Po. Automatisch presste sie sich ganz fest an ihn. Alarmiert riss sie sich aus ihren Träumereien. Schluss damit, solange es noch geht!, sagte sie sich. Sonst wirst du alles wollen und dich nicht mehr mit zarten Küssen begnügen.
Diesmal versuchte sie gar nicht erst, sich einzureden, dass sie mit Egbert genau dasselbe erleben könnte.
„Daisy, ich war heute kurz in einer Drogerie. Da habe ich …“
„Ich habe auch welche gekauft.“ Daisy flüsterte nur und versuchte, nicht allzu verlegen zu klingen. Nach dem vergangenen Abend hatte sie sich heute den ganzen Tag lang kaum auf irgendetwas konzentrieren können. Dieser Mann könnte Vorlesungen halten über die Kunst des Küssens! Ihr kam es vor, als sei ihr ganzer Körper nach einer Ewigkeit wieder zum Leben erwacht.
Sie wandte das Gesicht ab. Ihre Stimme klang unsicher. „Das ist nicht sehr klug.“
Kell atmete heftig, als habe er gerade einen Wettlauf hinter sich. „Wieso denn nicht?“
Sie musste sich auf seine Oberarme stützen, bis ihr Schwindelgefühl verflogen war. Ihre Wangen brannten, und ihre Sehnsucht steigerte sich mit jeder Sekunde, obwohl Kell sie überhaupt nicht mehr küsste oder streichelte. „Weil … weil ich noch so viel zu tun habe.“
Das war ja nun wirklich eine jämmerliche Ausrede. Leider fiel ihr im Moment keine andere ein. Bestimmt würde sie Kell nicht erzählen, wie lange es her war, seit sie einen Mann wie gestern Abend geküsst hatte, geschweige denn, wie lange ihr letzter Sex zurücklag. Selbst ihr Wunsch nach Sex war lange Zeit vollkommen erloschen gewesen.
„Ob du es glaubst oder nicht, Daisy, ich habe das nicht so geplant“, versicherte er.
Daisy blickte rasch an seinem Körper herunter. Er war erregt, das ließ sich nicht verbergen. Natürlich hast du das nicht so geplant, dachte sie und hätte fast gelächelt. Ich ja auch nicht. Und deshalb haben wir beide Kondome besorgt.
Kell schluckte und schaute auf die Kopien, die über den ganzen Tisch verstreut lagen. „Ich habe mich wohl ein bisschen zu sehr in meine Freude hineingesteigert, weil ich diese Fotos von meinem Vater gefunden habe. Da will man einfach feiern, verstehst du?“
Wenn dieser Kuss etwas mit seinem Dad zu tun hat, dann will ich das lieber nicht verstehen, dachte Daisy. Irgendetwas musste sie jetzt sagen, um sie beide wieder auf den Boden der
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