JULIA COLLECTION Band 20
Haar. Wenigstens war es jetzt wieder trocken, auch wenn die Farbe an eine tote Motte erinnerte und sicher keinen Mann entzückte. Schon seit Wochen wollte sie zum Friseur gehen, aber bevor sie sich zu einem völlig neuen Styling durchrang, wollte sie erst Egberts Meinung erfahren. Bevorzugte er langes oder kurzes Haar? Mochte er Blondinen? Wie blond sollten sie denn sein? Platinblond oder eher honigblond? Daisys natürliche Haarfarbe war undefinierbar, sodass jede Färbung eine Verbesserung sein würde.
Egberts Haar besaß einen hübschen mittleren Braunton, und am Scheitel wurde es bereits etwas dünner. Haarausfall ist kein Grund, sich zu schämen, dachte sie. Heutzutage trugen viele Männer aus modischen Gründen eine Glatze. Es hieß, das sei sexy. Egbert wirkte nicht direkt sexy, aber als vollkommen unerotisch konnte man ihn auch nicht bezeichnen. Sasha hatte ihn einmal einen Langweiler genannt, dabei war Egbert einfach nur strebsam, verlässlich und treu. Alles ausgezeichnete Eigenschaften für einen Ehemann. Manche bevorzugten vielleicht aufregendere Männer, und bis vor Kurzem hatte auch Daisy zu diesen Frauen gehört. Aber mittlerweile hatte sie aus ihren Erfahrungen gelernt.
Ihr knurrte der Magen, und erst jetzt fiel ihr ein, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Als sie nach dem Trauergottesdienst nach Hause zurückgekehrt war, hatte sie sich schnell umgezogen und wieder an die Arbeit gemacht. Sie wollte diesen Job hier so bald wie möglich abschließen, um sich um ihre eigenen Pläne zu kümmern. Daisy beendete lieber erst eine Sache, bevor sie sich der nächsten widmete.
Während Daisy eines von Harveys gestreiften Oberhemden zusammenlegte, kehrten ihre Gedanken zu dem verregneten Trauergottesdienst zurück. Sie musste wieder an den Fremden denken, den sie dort gesehen hatte. Ganz bestimmt war sie ihm noch nie zuvor hier im Ort begegnet, denn einen Mann mit so langen Beinen, breiten Schultern, kantigem Gesicht und durchdringend blauen Augen würde keine Frau wieder vergessen. Eigentlich konnte man die Augenfarbe über eine Entfernung von mehreren Metern gar nicht richtig erkennen, doch die Augen dieses Fremden schienen regelrecht zu strahlen.
Was für eine Augenfarbe hatte Egbert eigentlich? Daisy überlegte. Dunkelbraun?
Harveys Augen waren hellbraun. Immer hatte er ein lustiges Blitzen in den Augen, auch als er zuletzt ständig Schmerzen gehabt hatte . Der gute Kerl hätte es verdient, am Ende seiner Tage eine Familie um sich versammelt zu haben. Leider hatte er keine Familie, und seine Freunde waren bereits verstorben oder weggezogen. Ein altes Paar lebte noch in Elizabeth City, doch in der letzten Zeit hatten sie ihn fast überhaupt nicht mehr besucht.
Beim Packen des nächsten Kartons dachte Daisy an die letzte Stunde zurück, die sie mit ihrem Patienten verbracht hatte. Den Fernseher hatte er als zu laut empfunden, also hatte sie ihm aus der Zeitung vorgelesen. Sie waren kaum über die Kommentare auf Seite zwei hinausgekommen, als Harvey eingeschlafen war. Das war nichts Ungewöhnliches, und so hatte Daisy die Zeitung leise zusammengefaltet, die Bettdecke zurechtgezogen, das Licht ausgeschaltet und das Zimmer verlassen.
Am nächsten Morgen hatte sie ihm die Medizin bringen wollen, doch auf ihr Klopfen an der Tür hatte Harvey nicht reagiert. Als sie eintrat, lag ihr Patient mit geschlossenen Augen und friedlichem Gesichtsausdruck im Bett.
Er war im Schlaf gestorben.
Daisy hatte nicht geweint, aber sie wusste, dass die Tränen früher oder später noch kommen würden. Keinem ihrer bisherigen Patienten hatte sie so nahegestanden wie Harvey Snow. Vielleicht hatte sie seinen Mut so bewundert. Trotz seiner Arthritis hatte er allein gelebt und auch nach zwei kleinen Schlaganfällen seinen Humor nicht verloren.
Wahrscheinlich werde ich im unpassendsten Moment hemmungslos zu weinen anfangen, dachte sie. Seufzend klebte sie den Karton zu. Um sich von ihrer deprimierenden Arbeit abzulenken, überlegte sie, wie sie sich aufheitern konnte. Vielleicht sollte sie mal einkaufen gehen. Allerdings durfte sie nicht vergessen, dass Egbert sicher einen konservativeren Geschmack hatte als sie. Aber selbst bei einer strengen Bluse konnte man ein paar Knöpfe offen lassen, um ein bisschen Dekolleté zu zeigen. Und auch sehr klassische Röcke hatten einen Schlitz, der etwas Bein sehen ließ.
Und wenn sie sich schon neue Sachen zulegte, sollte sie sich vielleicht ein klassisch einfach
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