Julia Collection Band 22
im Leben war ihr etwas peinlicher gewesen als die Situation am Vortag in Nicks Büro, als sie ihm hatte erklären müssen, dass sie und ihr Vater praktisch mittellos waren. Doch das hatte sie nicht daran gehindert zu bemerken, dass der Junge, den sie einmal von ganzem Herzen geliebt hatte, sich zu einem umwerfend gutaussehenden Mann entwickelt hatte. Und jedes Mal, wenn er seinen Blick auf sie gerichtet hatte, hatte sich ihr Herz schmerzhaft zusammengezogen, obwohl sie geglaubt hatte, seit langem über diese Gefühle hinweg zu sein.
„Du kommst spät.“
Cheyennes Magen machte einen kleinen Purzelbaum, als sie Nicks tiefe Stimme hörte. Sie drehte sich um und sah ihn gegen die Stalltür gelehnt dastehen, die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Obwohl sie sich bemühte, nicht darauf zu achten, wie vorteilhaft das Flanellhemd seine breiten Schultern betonte und dass die Jeans seine muskulösen Schenkel wie eine zweite Haut umspannte, musste Cheyenne schlucken. Als er sich von der Tür abstieß und auf sie zukam, beschleunigte sich ihr Puls noch, und sie hatte auf einmal das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
„Ich hatte noch andere Dinge zu erledigen“, sagte sie und ärgerte sich, weil sie so aufgeregt klang. „Außerdem dürfte die Sache hier nicht sehr lange dauern. Beide Herden weiden in nicht allzu großer Entfernung voneinander.“
„Gut“, sagte er, band die Pferde los und reichte ihr die Zügel des Wallachs. „Ich muss vor dem Abendessen zurück sein.“
„Wir werden lange vorher wieder hier sein.“
„Gut, denn ich habe noch etwas vor.“
Irritiert registrierte Cheyenne, dass sie ein Gefühl der Enttäuschung verspürte. Es sollte ihr doch völlig gleichgültig sein, ob Nick eine Verabredung hatte oder nicht. Solange er sie in Ruhe ließ, konnte er sich mit der gesamten weiblichen Bevölkerung des Distrikts treffen und mit ihr ins Bett gehen. Das würde ihr nichts ausmachen.
„Wenn du die Inspektion der Herden verschieben willst – von mir aus gern. Ich habe sowieso noch eine Menge anderer Dinge, die ich erledigen muss.“
Nick schwang sich elegant in den Sattel. „Nein, ich möchte wissen, was wir haben, damit ich unser Vieh mit dem vergleichen kann, das angeboten wird, wenn ich morgen Abend zur Auktion fahre. Dann habe ich eine genauere Vorstellung davon, was ich erzielen kann, wenn ich es verkaufe.“
„Du willst das Vieh verkaufen?“
Vor lauter Panik lief ihr ein Schauer über den Rücken, während sich ihr Magen verkrampfte. Wenn Nick alles verkaufte, dann brauchte er sie nicht mehr. Wie sollte sie dann den Rest ihrer Schulden abbezahlen?
„Keine Angst, du wirst deinen Job behalten“, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Ich werde mit einem neuen Zuchtprogramm beginnen, damit die Sugar Creek Cattle Company zu einem wichtigen Mitbewerber als Zulieferer für die Rindfleischindustrie wird. Und das kann ich mit dem Vieh, das wir im Moment haben, nicht erreichen.“
„Du willst hoffentlich nicht irgendeine obskure Züchtung verwenden, von der noch nie ein Mensch gehört hat, oder?“
„Wohl kaum.“ Lachend schüttelte er den Kopf und drückte seinem Pferd leicht die Hacken in die Flanken. „Auf der Sugar-Creek-Ranch haben wir immer Black-Angus-Rinder gezüchtet, und das werden wir auch weiterhin tun. Genau wie auf der Flying-H-Ranch. Aber es werden Freilandrinder sein. Keine Futterzusätze mehr, keine Hormone. Und wir werden auch kein Futter mehr dazukaufen. Wir werden eine ökologische Rinderzucht aufbauen.“
Erleichtert, dass sie sich nicht darum sorgen musste, einen Weg zu finden, wie sie ihre Schulden zurückzahlen konnte – zumindest im Augenblick noch nicht –, nickte Cheyenne. „Bio-Rindfleisch wird in letzter Zeit immer beliebter.“
„Stimmt, der Markt wächst rapide, und wir wären dumm, wenn wir diese Entwicklung verschliefen.“ Er drehte sich zu ihr um und rückte die Krempe seines schwarzen Hutes zurecht, damit er ihr in die Augen sehen konnte. „Wenn ich mich nicht täusche, verfügen die Flying-H-Ranch und die Sugar-Creek-Ranch zusammen über ungefähr 150.000 Morgen bestes Weideland mit reichlich gutem Gras, das man im Winter als Heu verfüttern könnte.“
Damit hatte er Cheyennes Interesse geweckt. Es würde vermutlich mehrere Jahre dauern, bis ein solches Unternehmen richtig erfolgreich war. Außerdem bedeutete es, dass Nick mit der Planung beschäftigt wäre. Er musste feststellen, wie viel Land er für die Rinder zum Weiden
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