Julia Collection Band 23
Schere ein Kunstwerk vollbracht.
Wie betäubt betrachtete Joaquin das Gesicht im Spiegel.
Molly ging es nicht viel besser. Fast hilflos blickte sie auf die Frau, die ihr entgegensah. Bin ich das wirklich?, schienen ihre Augen zu fragen. Dann lächelte sie zaghaft, und Joaquin spürte Verlangen nach ihr, scharf wie eine Messerspitze. Er konnte den Blick nicht abwenden.
Melisande brachte sie alle beide in die Gegenwart zurück. Sie legte die Schere aus der Hand und zupfte ein wenig an den kurzen Strähnen, dann betrachtete sie zufrieden ihr Werk. „Glauben Sie mir jetzt?“, fragte sie die Frau im Spiegel.
Molly fuhr sich mit der Zungenspitze über den Mund und nickte unsicher. „Wirklich erstaunlich.“
Die Stylistin lachte. „Und was halten Sie davon?“ Fragend schaute sie Joaquin an. „Es steht ihr, finden Sie nicht?“
„O ja“, erwiderte er. Seine Stimme klang rau. Melisande lächelte wissend, dann ergriff sie Mollys Hände. „Darum kümmern wir uns als Nächstes.“
„Das ist zwecklos“, protestierte sie. „Ich bin Mechan…“
„Doch!“ Das Wort entschlüpfte, bevor er es verhindern konnte.
„Wie bitte?“ Zornig funkelte sie ihn an. „Sind das Ihre Hände oder meine?“
Er dachte an die zarte Haut an ihren Handgelenken, und plötzlich wollte er, dass ihre Hände ebenso weich sein sollten.
„Ihre“, erwiderte er. „Aber ich bin der Lehrer, ich bestimme.“
Kriegerisch sahen sie sich an. Melisande blickte von einem zum anderen.
Schließlich gab Molly nach. „Also gut“, seufzte sie. „Tun Sie, was Sie wollen.“ Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Natürlich war es reine Zeitverschwendung; ein paar Stunden in der Werkstatt, und man würde nichts mehr davon sehen. Dennoch – als die Maniküre ihre schwieligen Handflächen und die strapazierten Fingernägel nach einer gründlichen Reinigung mit einer duftenden Creme massierte, sagte sie sich, dass es schön sein musste, gepflegte Hände zu haben. Sie stellte sich vor, wie sie Carson damit sanft über das schwarze Haar strich und …
Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Carson hatte braunes Haar. Wie kam sie auf Schwarz? Sie wusste, warum und ballte unwillkürlich die Fäuste.
Als sie nach beendeter Maniküre aufstand, wartete Joaquin bereits. Ohne zu fragen, nahm er ihre Hände in seine und betrachtete sie. „Wunderschön.“ Sacht ließ er die Daumen über die jetzt zarten Innenseiten gleiten, dann hob er eine Hand an die Lippen.
Molly wurde feuerrot. „Joaquin!“ Sie versuchte, sich loszureißen, doch er hob die andere Hand und küsste sie ebenfalls. „Wie ich sehe, hat es sich gelohnt“, murmelte er sinnlich, und Molly lief ein Schauer über den Rücken.
„Morgen Abend sehen sie genauso aus wie vorher“, sagte sie mürrisch.
„Aber jetzt sind sie perfekt, so wie alles an Ihnen.“
„Was wissen Sie schon!“
„Nicht viel, das gebe ich zu. Aber ich würde gern mehr wissen.“ Seine Stimme klang dunkel und einschmeichelnd.
„Ich will nicht, dass Sie so mit mir reden!“
„Ich dachte, Sie wollen lernen, wie man flirtet.“
„Schon, aber …“
„Aber?“
Sie schluckte. Dass er diese Wirkung auf sie haben würde, hatte sie nicht geahnt, und es gehörte nicht zum Programm. Es ging um Carson, nicht um ihn.
Ruhig bleiben, dachte sie, nicht die Nerven verlieren. Es war meine Idee. Ich wollte, dass er mir zeigt, wie es gemacht wird, und genau das tut er. Denk an Carson, stell dir vor, dass er vor dir steht, nicht Joaquin Santiago.
In Gedanken sah sie ihren Verlobten vor sich: das jungenhafte Gesicht, die hellen blauen Augen mit den Lachfältchen, das braune Haar. Ob ihm ihre neue Frisur gefallen würde? Hoffentlich.
Sie ging an die Kasse, um die Rechnung zu zahlen. Es kostete ein kleines Vermögen, aber das war es wert, wenn es Carson gefiel.
„Gehen wir“, sagte Joaquin.
Gemeinsam verließen sie den Salon. Auf dem Bürgersteig blieb Molly stehen und drehte sich zu ihm um. „Ich bin froh, dass Sie mich überredet haben. Ohne Sie wäre ich nie auf die Idee gekommen, meine Frisur zu ändern.“
„ De nada. Ich meine, gern geschehen.“ Er reichte ihr den Arm. „Gehen wir.“
„Aber …“ Erstaunt sah sie ihn an. „Ich … ich will Sie nicht länger aufhalten, Sie sind sicher beschäftigt.“
„ Wir sind beschäftigt. Kommen Sie, jetzt gehen wir einkaufen.“
„Aber ich …“
„Keine Widerrede.“
Die nächsten zwei Stunden schleppte Joaquin Molly von einer Boutique in die andere.
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