Julia Collection Band 25
melden, aber es war keine Nachricht von ihm da. Hatte er über die vergangene Nacht nachgedacht und entschieden, dass er sie nie wiedersehen wollte? Für den Fall des Falles, dass sie versuchte, ihn noch einmal zu verführen?
Und was würde er sagen, wenn er doch anrief?
Ich brauche einen Espresso, dachte Lucy.
Stirnrunzelnd sah Marcus aus dem Fenster. Sein Vater, Großvater, Urgroßvater und deren Vorfahren hatten in diesem Büro gearbeitet. Sobald er alt genug gewesen war, um solche Dinge zu begreifen, hatte Marcus gewusst, dass er eines Tages die Verantwortung für die Bank und ihre Kunden übernehmen würde. Als sein Vater starb, war Marcus gerade sechs Jahre alt. Er wurde von seiner Mutter und seinem Großvater aufgezogen, der ihm einhämmerte, wie wichtig die Bank war und dass von ihm erwartet wurde, ihr sein Leben zu widmen. Mit einundzwanzig, gerade von der Universität gekommen, ärgerte Marcus sich über diese Verantwortung und darüber, was für ein Leben sie ihm aufzwang. Dennoch fühlte er sich moralisch verpflichtet, beides zu akzeptieren. Damals war sein Großvater fast achtzig gewesen, alt genug, um sich endlich zur Ruhe zu setzen. Deshalb war es Marcus’ Pflicht, die Leitung der Bank von ihm zu übernehmen.
Und so begrub er seinen Traum, um die Welt zu reisen, und konzentrierte sich auf das, was er tun musste.
Er war fast sechs Jahre älter als Lucy – und bei ihrem ersten Besuch in seinem Büro verärgert und ungeduldig. Verärgert, weil er schon genug am Hals hatte, ohne auch noch als ihr Treuhänder fungieren zu müssen. Und ungeduldig, weil er ihr ansah, dass sie sich sofort in ihn verknallte. Auch wenn er sich nicht für eingebildet hielt, hatte er genug Beziehungen hinter sich, um zu wissen, was der Blick bedeutete, den Lucy ihm zuwarf. Die Bank hatte er übernommen, weil er keine andere Wahl gehabt hatte, an der Unabhängigkeit, die ihm geblieben war, hielt er jedoch grimmig fest. Heiraten war ein notwendiges Übel, das er so lange wie möglich aufschieben wollte. Natürlich würde er eines Tages heiraten und der Bank ihren zukünftigen Verwalter schenken, aber noch nicht. Und er würde sich niemals verlieben.
Was für Zerstörungen das „Sich-Verlieben“ anrichten konnte, hatte Marcus am eigenen Leib erlebt. Als er sechs Jahre alt gewesen war, hatte sein Vater sich verliebt und seine Frau und die beiden Kinder verlassen. Marcus hatte sich verraten und beraubt gefühlt. Und weil er seinen Vater nicht hassen konnte, hatte der kleine Junge seinen Hass gegen die Empfindung gerichtet, die seinen Vater fortgetrieben hatte.
Drei Wochen nachdem er seine Familie verlassen hatte, starb Marcus’ Vater bei einem Unfall, zusammen mit seiner Geliebten. Marcus hatte sich geschworen, niemals denselben Fehler wie sein Vater zu machen.
Niemals würde er sich verlieben. Darum schlief er nur mit Frauen, die erfahren waren, ein bisschen älter als er und oft geschieden. Frauen, die Spaß am Sex hatten und die Spielregeln verstanden, nach denen er spielen wollte. Kurz, Frauen, die das genaue Gegenteil von Lucy waren.
Im Lauf der Jahre verschmolzen seine Verärgerung und Ungeduld zu einer reflexartigen Reaktion, die aktiviert wurde, wann immer er Lucy sah. Dieser Reflex verstärkte sich, bis schließlich Fassungslosigkeit und Wut daraus wurden, als sie Nick Blayne heiratete.
Angeblich sollte Lucy eine intelligente junge Frau sein. Sie hätte doch sehen müssen, was für ein mieser Typ dieser Nick Blayne war. Aber offensichtlich war sie blind vor „Liebe“. Liebe und Begierde, nach den Zeitungsfotos zu urteilen, die Marcus von ihr mit Nick gesehen hatte. Bilder, auf denen sie halb nackt mit ihm auf der Karibikinsel herumhüpfte, auf der sie ihn kennengelernt hatte.
Verärgerung, Ungeduld, Wut – und, wenn er ganz ehrlich war, auch Schuldgefühle. Wofür sollte ich mich denn schuldig fühlen, dachte Marcus gereizt. Er war nicht dafür verantwortlich, dass sie Nick geheiratet hatte. Und er konnte nichts für die katastrophalen Folgen. Tatsächlich hatte er alles in seiner Macht Stehende getan, um Lucy davon abzuhalten, Nick die Vollmacht zu geben, das Treuhandvermögen zu plündern, aber sie hatte nicht auf ihn hören wollen.
Trotzdem fühlte sich Marcus schuldig. Und das machte ihn noch wütender auf Lucy. Als ihr Treuhänder war er fest entschlossen, das zu schützen, was von ihrem Erbe übrig war – notfalls vor Lucy selbst.
Nur zu gut wusste er, dass er damit Groll und Beklommenheit anstatt
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