Julia Collection Band 26
geschrieben. Er riss den Kopf hoch und rang nach Luft. „Du willst mir jetzt sagen, dass ich dieses Baby war, nicht wahr?“
„Ja, Liebling.“
Oh nein! Seine Eltern waren nicht seine Eltern. Das war schlimmer als alles, was er sich in seinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Eine grenzenlose Einsamkeit ergriff ihn. Er fühlte sich von der Frau neben ihm völlig abgeschnitten. Starr blickte er auf seine Hände, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. Wer war er?
Wie sollte ein Mann mit einer solchen Nachricht fertig werden? Warum sagte sie ihm das jetzt? Warum hatten Cob und Jessie es ihm nicht gesagt, als er noch klein gewesen war? Hätten sie ihm damals nicht das erzählen können, was man adoptierten Kindern immer erzählte – dass er ein ganz besonderes Kind sei und dass sie sich für ihn entschieden hätten, weil sie ihn liebten? Dann hätte er wenigstens von Anfang an gewusst, dass er nicht ihr leiblicher Sohn war.
Zur Hölle, sein ganzes bisheriges Leben war auf einer Lüge aufgebaut gewesen. Als Kind hatte er sich immer einzureden versucht, er sei das Ebenbild seines Vaters. Er und Kane hatten all die Jahre über gedacht, sie wären Zwillinge.
Dass er nicht einmal ein McKinnon war, war mehr, als er ertragen konnte.
Er fuhr Jessie an: „Warum hast du denn, verdammt noch mal, so lange damit gewartet, es mir zu sagen?“
„Wir … Ich hatte Angst, du würdest mir dann zu viele Fragen stellen.“
„Ja, allerdings habe ich viele Fragen. Vor allem möchte ich gern wissen, wie ich hierher gekommen bin. Zu dir!“ Seine ganze Bitterkeit lag in diesem letzten Wort. Das war auch beabsichtigt. Er war wütend, sehr wütend sogar. Er hätte um sich schlagen können.
Jessie presste die Hand an die Lippen, als würde sie sie am liebsten für immer geschlossen halten. „Die arme Flora war in einem fürchterlichen Zustand, Reid. Sie stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch und flehte mich an, ihr Baby zu nehmen.“
Die arme Flora … Aber er wollte keine andere Mutter. Und er wollte ganz sicher nicht, dass Tante Flora, die er während seiner Europareise in Schottland besucht hatte, seine Mutter war. Sein Aufenthalt dort war für beide sehr unangenehm gewesen, voller Spannung, und er hatte den Eindruck gehabt, dass sie ihn als einen Störenfried betrachtete. „Was war denn los mit der armen Flora?“
Jessie holte tief Luft.
Reid starrte sie wütend an, er empfand keinerlei Mitgefühl für sie. „Besser, du sagst es mir. Du hast genug Unheil angerichtet, indem du diese Nachricht so lange für dich behalten hast. Jetzt brauchst du mich auch nicht länger zu schonen. Ich will die ganze Wahrheit hören.“
„Aber sie wird dir nicht gefallen.“
„Das ist mir egal.“
„Liebling, es tut mir so leid. Ich weiß, das alles ist schrecklich für dich. Eigentlich wollte ich es dir ja auch gar nicht erzählen. Ich … Bestimmt ist dies der falsche Augenblick.“
Reid biss die Zähne zusammen. „Was war los mit meiner … mit Flora? Warum musste sie mich weggeben?“
„Weil sie vergewaltigt worden war.“
Vergewaltigt?
Jessie hatte das Wort so leise ausgesprochen, dass er es fast nicht gehört hätte, so sehr überstürzten sich seine Gedanken.
Aber er hatte es doch gehört. Vergewaltigt? Es traf ihn wie ein Schlag. Er konnte nicht mehr klar denken. Immer wieder hörte er nur dieses eine Wort, es hallte wie ein Schrei in seinem Kopf wider. Vergewaltigt, vergewaltigt, vergewaltigt.
Er war der Sohn eines Vergewaltigers.
Fluchend sprang er aus seinem Sessel auf und stürmte über die Veranda. Er war der Sohn eines Vergewaltigers! Völlig außer sich, schlug er mit der Faust gegen einen Holzpfosten.
Es war die Hölle! Kein Wunder, dass Flora ihn nicht hatte sehen wollen. Wahrscheinlich hatte sie einen Blick auf ihn geworfen und sofort das Bild des Mannes gesehen, der sie geschändet hatte.
„Reid, Liebling.“
Undeutlich vernahm er die schwache Stimme hinter ihm. Jessies Stimme. Die Mutter, die nicht seine Mutter war. Aber was, zum Teufel, machte das jetzt schon für einen Unterschied? Es war ziemlich egal, wer seine Mutter war, wenn er das Blut eines Vergewaltigers in sich trug. Er hatte das Schlechte in seinem Blut. In seinem Herzen. In seinen Genen. In seinem Samen.
Oh nein …
„Sarah.“
Er schluchzte gequält ihren Namen. Plötzlich sah er sie vor seinem geistigen Auge – und fühlte sich schmutzig. Er sah Sarahs hübsches ovales Gesicht, das von ihrem schwarzen Haar umrahmt war,
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