Julia Collection Band 26
hätte bestimmt gelächelt, hätte er sich nicht fürchterlich darüber geärgert, dass sein Bruder eine derartige Charmenummer abzog. Beim Mittagessen hatte Reid sich schon schreckliche Sorgen um Charitys Haut gemacht, und jetzt überschlug er sich geradezu, es ihr recht zu machen, weil sie auch nur den Funken von Enttäuschung zeigte. Wenn das so weiterging, bot er ihr bestimmt noch Hilfe bei der Suche nach ihrem Bruder an.
„Setzen Sie sich bitte, und ich hole das Essen“, sagte sie und erwiderte Reids Lächeln mit gleicher Herzlichkeit.
Die beiden Männer nahmen am Tisch Platz. Vor ihnen stand eine Backform mit einem duftenden Auflauf. Das Bier befand sich nicht mehr in den braunen Flaschen, sondern schäumte in Kristallgläsern. Und erst jetzt merkten die beiden, dass nur für zwei Personen gedeckt war.
„Was ist mit Ihnen, Chaz?“, fragte Kane. „Essen Sie nicht mit uns?“
„Nein.“
„Warum nicht? Vertrauen Sie Ihren eigenen Kochkünsten nicht, oder haben Sie Schierling mitgekocht?“
„Nein, nein, ich esse später in der Küche.“
„Das kommt nicht infrage“, wehrte Kane ab.
„Aber ich bin doch die Haushälterin.“
„Reden Sie keinen Quatsch. Wir sind nicht in England, und solchen Unsinn mögen wir nicht.“
„Vic isst aber auch nicht mit Ihnen.“
„Das ist was anderes. Er hat sein eigenes Haus und bleibt lieber für sich. Außerdem kommt er sonntags stets zu uns.“
Als sie noch immer verunsichert aussah, ließ Reid erneut seinen Charme wirken. „Charity, Sie ersetzen derzeit unsere Schwester. Darum bestehen Kane und ich darauf, dass Sie uns Gesellschaft leisten.“
„Na, dann ist es gut“, entschied sie und eilte an die Anrichte, um auch für sich zu decken.
Reid legte noch an Charme zu, rückte ihr den Stuhl zurecht und roch genießerisch, als sie den Deckel von der Auflaufform hob. „Das duftet ja sensationell.“
Was für eine alberne Schau!
„Hoffentlich schmeckt es Ihnen“, erwiderte Charity, und wenn Kane sich nicht täuschte, war sie gespannt.
„Das schmeckt ganz bestimmt“, beteuerte Reid.
Während sie das Essen austeilte, verfolgte Kane jede ihrer Bewegungen. Charity hatte die schönsten Hände, die er jemals gesehen hatte, zart und mit weicher, heller Haut, schlanken Fingern und gepflegten, nicht lackierten Fingernägeln. Es faszinierte ihn, wie anmutig sie alles tat.
Ihm wurde heiß, als er sich vorstellte, wie sie ihn mit diesen Händen berührte und über seine Haut …
„Wie heißt denn dieses Gericht?“, erkundigte sich Reid.
„Linsencurry“, erwiderte sie.
„Linsen?“
Linsen? Kane landete hart in der Realität und starrte auf seinen Teller. Danach warf er ungläubige Blicke auf das restliche Essen – eine Schüssel Salat und einen frisch gebackenen Brotlaib. „Wo ist das Fleisch?“, fragte er.
„Es gibt kein Fleisch.“
„Es gibt kein Fleisch?“, wiederholte Reid schwach.
„Wieso nicht?“, fragte Kane.
„Ich koche kein Fleisch.“
„Wieso nicht?“
Charity lächelte reizend. „Ich bin Vegetarierin.“
Kane blieb fast der Mund offen stehen. „Sie sind was?“
„Letztes Jahr haben mein Vater und ich zur Fastenzeit das Fleisch aufgegeben und seither auch keines mehr gegessen.“
„Sie machen sich mit dem Tischdecken dermaßen viel Mühe, und dann servieren Sie uns Linsen?“ Kane wandte sich an seinen Bruder, der fassungslos auf seinen Teller starrte. „Wir haben das Fleisch nicht aufgegeben, nicht wahr, Reid?“ Als sein Bruder nicht antwortete, sah er wieder Charity an. „Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie Vegetarierin sind?“
„Sie haben mich nicht danach gefragt.“
„Ich bitte Sie! Sie können doch nicht im Ernst von uns erwarten, dass wir auf Fleisch verzichten, nur weil Sie keines essen!“
„Beruhige dich, Kane“, bat Reid ganz sanft und diplomatisch. „Charity, Sie wissen vermutlich, dass wir mit Rindfleisch unser Geld verdienen, nicht wahr?“
„Aber ja“, bestätigte sie lächelnd.
„Und meines Wissens ist Fleischessen auch keine Sünde“, warf Kane ein.
Reid winkte ab. „Darüber können wir später sprechen. Es wird uns schon nicht schaden, einmal Linsen zu essen.“
Hoffentlich bleibt es auch bei diesem einen Mal!
Kane hätte es zwar nicht eingestanden, aber die Linsen schmeckten gut, verdammt gut sogar. Und das Brot, das Charity gebacken hatte, und das Salatdressing waren ebenfalls hervorragend.
Ihre Blicke trafen sich. Charity lächelte, und wenn er sich nicht täuschte,
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