Julia Collection Band 26
frei.“
„Aber wieso sind Sie nicht heimgefahren, sondern bei mir geblieben?“
„Ich wollte sicher sein, dass Ihnen nichts passiert.“
Stimmte das? Sollte sie dankbar sein? Was für ein Mann war Kane McKinnon? Charity hatte keine Ahnung, ob sie ihm vertrauen konnte. In seinem sonnengebräunten Gesicht zeichnete sich eine helle Narbe ab, die durch die rechte Augenbraue verlief und nahezu bis zum Augenlid reichte. Unwillkürlich fragte Charity sich, woher diese Narbe wohl stammte.
„Haben wir …? Wir haben doch nicht …? Ich meine, haben wir … Ja, also …“ Wie sollte sie ihn das wohl fragen? „Wir haben uns doch nicht … geliebt … oder so?“
„Geliebt?“, fragte er lächelnd und zeigte dabei perlweiße Zähne. „Nein.“
„Was für ein Glück“, flüsterte sie erleichtert.
„Ich würde nicht von Liebe sprechen“, fuhr er fort.
Charity verspannte sich auf der Stelle wieder und machte sich aufs Schlimmste gefasst.
Er nickte ihr zu. „Das war eher pure Lust und …“
„Nein!“
„… und völlig unkomplizierter Sex“, fügte er hinzu.
Charity stöhnte entsetzt auf und verkroch sich unter die Bettdecke. Schon jetzt sah sie alle anständigen Frauen der Pfarrgemeinde ihres Vaters vor sich, die geschockt und fassungslos die betrunkene, gestrauchelte Tochter des Geistlichen anstarrten.
„Keine Sorge, kleine Charity“, sagte Kane. „Es war wild.“
„Gehen Sie weg!“, jammerte sie.
„Wir waren fabelhaft, einfach sensationell.“
„Aufhören!“, schrie sie und lugte wieder unter der Decke hervor. „Sie sind abscheulich!“
Allerdings beschlich sie bei seinem vergnügten Schmunzeln der Verdacht, dass er schwindelte. Hatte er sie nur auf den Arm genommen? Ermutigt setzte sie sich auf und ließ den Blick tiefer gleiten.
Sie war vollständig bekleidet!
Abgesehen von den Schuhen, befand sich jedes Kleidungsstück genau da, wo es hingehörte. Dem Himmel sei Dank!
Hastig wandte sie den Kopf zur Seite und verzog das Gesicht, weil der Kopf dabei schmerzte. Unterhalb des Fensters stand ein zweites Bett, und es war zerwühlt. Offenbar hatte Kane dort geschlafen.
Also hatte er sie wirklich nur auf den Arm genommen, und deshalb fand sie ihn sogar noch abscheulicher. Er hatte sie zum Narren gehalten.
„Falls das australischer Humor sein soll“, fuhr sie ihn an, „halte ich nicht viel davon!“
„Ach was, schlucken Sie die Dinger da“, sagte er bloß und drückte ihr die Tabletten in die Hand.
Es blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als zu gehorchen, doch sie sah ihn dabei nicht an. Sie hätte ohnedies nur einen spöttisch amüsierten Blick aus seinen Augen aufgefangen.
„Ich habe Ihr Gepäck ins Zimmer gebracht“, fuhr er fort. „Seien Sie ein braves Mädchen, und hüpfen Sie unter die Dusche. Vor der Abreise brauchen Sie noch ein anständiges Frühstück, um wieder auf die Beine zu kommen.“
„Ich habe nicht vor abzureisen.“ Durch diese peinliche Lage ließ sie sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Kane McKinnon versuchte offenbar noch immer, sie zu verscheuchen, doch sie vergaß nicht, dass sie ein Ziel hatte. Tim wurde nach wie vor in diesem schauerlichen Outback vermisst.
„Natürlich reisen Sie ab“, sagte Kane McKinnon. „Sie hätten schon gestern auf mich hören sollen.“
Hastig strich sie sich durchs zerzauste Haar. „Ich meine es ernst, Mr. McKinnon. Ich gehe nicht fort, sondern bleibe in Mirrabrook. Ich bin hergekommen, um meinen Bruder zu finden, und ich lasse mir von niemandem etwas befehlen, von Ihnen schon gar nicht.“ Etwas von dem Gespräch mit Marsha fiel ihr ein. „Sie haben einen Bruder und eine Schwester. Wenn Sie mir nicht helfen, werde ich mit den beiden sprechen. Das mache ich gleich anschließend.“
„Ach ja, machen Sie das?“
„Allerdings! Tim hatte vermutlich auch mit den beiden zu tun.“
Kane zuckte die Schultern. „Nicht direkt, und Annie ist zurzeit nicht da und kann Ihnen daher auch nicht helfen.“
So leicht ließ Charity sich nicht abwimmeln. „Ich enttäusche Sie nur ungern, aber ich werde nicht abreisen.“ Sie schlug die Decke zurück, stützte sich auf den Nachttisch und stand sehr vorsichtig auf. „Ich bin nämlich weitgehend überzeugt, dass ich in Mirrabrook alles Nötige erfahren werde. Daher bleibe ich, bis ich der Sache auf den Grund gekommen bin.“
Da das Telefon klingelte, antwortete er nicht auf ihre energische Erklärung.
Er griff nach dem Hörer. „McKinnon. Ach, hallo, Reid. Ja, ich bin noch
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