Julia Collection Band 51
ausgeblichen. Mike fühlte sich schuldig. Er hatte nicht gewusst, dass Sophia in solch bescheidenen Verhältnissen lebte. Plötzlich begann er zu verstehen, warum sie so entschlossen war, einen reichen Mann zu heiraten.
Er nahm sich vor, ihr Gehalt zu erhöhen. Kräftig. Sie verdiente es, und außerdem würde sie dann vielleicht weniger erpicht darauf sein, von einem Mann versorgt zu werden, wenn sie selbst über genügend Geld verfügte.
Sophia ging voran zur Küche. „Mein Wagen hat wieder gestreikt“, erzählte sie ihrer Mutter. „Ich musste mit einem Kollegen nach Hause fahren und habe ihn zum Essen eingeladen.“
„Dein Wagen?“, fragte Sophias Mutter erschrocken. „Nicht schon wieder.“
Mikes Schuldgefühle wuchsen. Er blieb auf der Türschwelle stehen. Als er sah, dass Sophias Mutter an den Rollstuhl gefesselt war, erschrak er.
Sophia legte ihm eine Hand auf die Schulter und stellte ihn ihrer Mutter vor. „Das ist Mike.“
Sophias Mutter hatte ihren Rollstuhl vor den Herd gerollt und rührte in einem Topf. Sie war schlank, hatte blonde Haare, von silbernen Strähnen durchzogen. Ihre Augen waren blau wie die von Sophia. Obwohl Ende vierzig, war sie doch eine attraktive Frau. Aber in ihren Augen lag eine Härte, die Mike bei Sophia nicht bemerkt hatte. Sie verriet, wie übel das Leben dieser Frau mitgespielt hatte.
„Michael.“ Lächelnd reichte sie Mike die Hand. „Wie nett, Sie endlich kennenzulernen. Ich heiße Jannette.“
„Das ist nicht Michael Barrington, Mutter“, erklärte Sophia. „Das ist Mike, der Postmann.“
Mike hatte das Gefühl, das Mutter und Tochter nicht selten über Michael Barrington sprechen mussten. Ob vielleicht Jannette Shepherd verantwortlich war für Sophias Wunsch, ihren Boss zu heiraten? In diesem Fall hätte Mike noch einen Grund, Sophia in sich verliebt zu machen. Er schuldete es ihr geradezu. Er musste sie der Kontrolle ihrer Mutter entziehen, damit sie ihre eigenen Fehler machen konnte …
„Ach so.“ Jannettes freudige Miene veränderte sich, obgleich sie bemüht war, ihre Enttäuschung zu verbergen. „Nun, Mike, dann vielen Dank, dass Sie Sophia nach Hause gebracht haben. Sie bleiben doch zum Dinner, oder?“
„Wenn Sie sicher sind, dass es reicht?“
„Absolut“, erwiderte Jannette. „Sophia, Schatz, warum deckst du nicht schon mal den Tisch?“
Das Essen schmeckte ausgezeichnet. Mike hatte nichts gegen Jannettes Kochkünste einzuwenden, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihn ablehnte. Hin und wieder schaute er auf und sah ihren abweisenden Blick auf sich gerichtet. Um sie für sich zu gewinnen, lächelte er oft und jungenhaft. Mit seinem Charme pflegte er Frauen zu erobern, doch Sophias Mutter schien er nur zu irritieren.
„Wie lange arbeiten Sie schon als Postmann, Mike?“, fragte sie einmal.
Aha, dachte er, nun kommen wir zur Sache. Der Postbote war nicht gut genug für ihre Tochter.
„Einige Monate.“
„Und wo haben die vorher gearbeitet?“
„Hier und da.“
„Verstehe. Und wie alt sind Sie? Zweiunddreißig?“
„Sechsunddreißig.“
„Da arbeiten Sie noch immer im Postraum?“
„Mutter.“ Sophia seufzte verlegen. „Mike und ich sind kein Paar. Er hat mich nur nach Hause gefahren.“
Jannette entschuldigte sich mit einem Lächeln. „Es tut mir leid, wenn ich so deutlich werde, Mike. Aber Sie müssen verstehen: Ich bin eine alleinerziehende Mutter, und Sophia ist mein einziges Kind. Ich will nur das Beste für sie.“
„Ich verstehe, Mrs Shepherd.“
Und das tat er wirklich. Das bescheidene Haus, die schlichte Umgebung, der Rollstuhl. Er kannte den Hintergrund nicht, konnte sich aber Jannettes Motive vorstellen. Sie suchte einen Weg aus dieser Armut für ihre Tochter, und in ihren Augen war die Heirat mit einem reichen Mann das Ticket dafür.
Nachdem sie die Käsetorte gekostet und „Happy Birthday“ gesungen hatten, bedankte sich Mike für das Essen. Ihm war aufgefallen, dass Sophia ihrer Mutter nichts von dem Glasbriefbeschwerer erzählt hatte, den er ihr geschenkt hatte. „Ich werde mich jetzt noch um Sophias Wagen kümmern. Ich bin ziemlich geschickt in solchen Dingen und kann Ihnen vielleicht einige Ausgaben ersparen.“
„Das ist sehr aufmerksam, Mike.“ Jannette senkte den Blick. Obgleich ihre Stimme freundlich klang, war die unterschwellige Botschaft nicht zu überhören: ‚Bleib weg von meiner Tochter.‘
Sophia begleitete ihn noch hinaus. Inzwischen war es dunkel geworden, und über
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