Julia Collection Band 51
bist. Ich wollte nicht stören“, stammelte sie.
Nick stand auf. „Du störst nicht. Im Gegenteil, ich könnte Gesellschaft gebrauchen.“
Nick trug nichts weiter als eine Jogging-Hose. Seine bloße Brust war braun gebrannt und muskulös, der seidige Flaum schimmerte im Licht. Seine Haare standen wirr ab, eine dunkle Locke fiel ihm in die Stirn.
Nie im Leben hatte Rachel einen erregenderen Mann gesehen.
Verlegen wurde ihr bewusst, dass sie ihn anstarrte. Aber noch verlegener wurde sie, als sie merkte, dass er sie ebenfalls anstarrte. Mit einer brüsken Bewegung schnürte sie den Morgenmantel, den sie nur locker übergezogen hatte, fest mit dem Gürtel zu. Sie musste etwas sagen, irgendetwas, um diese seltsame Spannung zu brechen.
„Was machst du um diese Uhrzeit hier unten? Im Dunkeln?“
„Ich denke nach. Und du? Wieso bist du wach?“
„Ich konnte nicht einschlafen. Deshalb wollte ich mir ein Glas Milch holen.“ Sie ging zum Kühlschrank und nahm die Milchflasche heraus. „Möchtest du auch ein Glas?“
„Ja, bitte.“
Rachel kam mit zwei Gläsern Milch an den Tisch. „Worüber hast du nachgedacht?“
Erst schwieg Nick, dann fuhr er sich seufzend mit den Fingern durch das Haar. „Ich musste an Ben denken. Es ist so unfair. Bens ganzes Leben war unfair.“
„Was meinst du damit?“, fragte Rachel mitfühlend.
„Ich habe so ziemlich alles das gemacht, wovon wir als Kinder zusammen geträumt haben – ich bin Ski gefahren und tauchen gegangen und habe Drachenfliegen gemacht. Ich bin gesegelt und auf Safari gewesen. Ben … Ben dagegen hat nie die Möglichkeit gehabt. Er hat nie Zeit dazu gehabt. Ich habe ihm die Verantwortung aufgebürdet, die eigentlich mir zugedacht war.“ Mit einem Fingernagel zog Nick schweigend die Maserung im Holztisch nach. „Weißt du eigentlich, wie schuldig ich mich deswegen fühle? Ich habe mich abgesetzt und ihn allein gelassen.“
„Ihn allein gelassen? Nein, das hast du nicht.“ Rachel drückte seine Hand, und er sah mit zusammengepressten Lippen auf. „Du bist auf die Universität gegangen. Das ist doch kein Verbrechen, für das du dich schuldig fühlen musst.“
Nick stieß einen knurrenden Laut aus. „Du hättest meinen Vater hören sollen. Der war überzeugt davon, dass es ein Verbrechen war. Ich hätte die Familie im Stich gelassen, sagte er, hätte die Arbeit von vier Generationen zunichte gemacht.“
„Das glaube ich nicht, und du auch nicht. Sonst wärst du nie von zu Hause weggegangen.“ Ihr Griff an seinen Fingern wurde fester. „Weißt du, was ich denke? Ich denke, du warst ein großartiges Beispiel für deinen Bruder. Indem du deine eigenen Träume verwirklicht hast, hast du ihm den Mut gegeben, das Gleiche zu tun. Nach dem Wenigen, was du mir von ihm erzählt hast, glaube ich eher, dass er die Arbeit auf der Farm liebte. Ich glaube, dass auch er seinen Traum verwirklicht hat – das Leben auf der Farm, eine Familie …“
Nick betrachtete sie nachdenklich. „Ich wünschte, ich könnte das genauso sehen.“
Er hörte ihr zu, und das machte sie mutiger. Also fuhr sie fort. „Vielleicht hatte er einfach nur Angst, dir zu gestehen, dass es das war, was er wirklich wollte. Weil es nicht aufregend genug war.“ Sie schaute auf ihre Finger herunter und hielt inne. Dann setzte sie wieder an: „Ich hatte mein ganzes Leben lang Angst – Angst davor, mich zu blamieren, Angst vor Fehlschlägen, Angst davor, schwimmen zu gehen, Angst vor Asthma-Anfällen.“
„Ich dachte, das mit dem Asthma sei vorbei.“
„Meine ganze Kindheit war von diesen Asthma-Anfällen bestimmt. Die seelischen Narben sind noch immer da. Deshalb sind meine Eltern auch so übertrieben besorgt, deswegen bin ich heute noch so vorsichtig und scheue mich, Risiken einzugehen oder etwas zu wagen. Manchmal komme ich mir vor wie eine kleine schüchterne Maus.“
Nick nahm ihre Hände. „Aber jetzt bist du doch nicht mehr schüchtern.“
Die Berührung jagte einen elektrischen Schauer durch ihren ganzen Körper. „Oh doch, ich bin es immer noch.“
„So sehe ich dich aber nicht. Ganz und gar nicht.“
Nein, denn wenn sie mit Nick zusammen war, kam sie der Person, die sie zu sein glaubte, am nächsten. Wahrscheinlich würde sie nie wieder einen Menschen finden, bei dem sie so fühlte. „Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich mir bei dir nicht so schüchtern vorkomme“, versuchte sie zu lächeln.
Seine Daumen streichelten sanft über ihre Handrücken. „Das ist
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