Julia Collection Band 55 (German Edition)
worden.
Charles wirkte unnatürlich unruhig. Wahrscheinlich wartete er auf Delphine, mutmaßte Jennifer. Die Stunden vorher hatten sie noch mit den Passanten gescherzt, und dabei war ihr aufgefallen, wie gut Charles mit Kindern umgehen konnte. Ein Fotograf hatte ein Foto von ihm geschossen, als er für ein kleines Mädchen Fratzen schnitt. Das würde eine ausgezeichnete Werbung für das Kaufhaus abgeben.
Jetzt schienen sie beide ihren Humor verloren zu haben. Jennifer hatte die düstere Ahnung, dass bald etwas geschehen würde, was weitreichende Folgen hätte.
„Er ist wieder da“, bemerkte Charles leise.
Tatsächlich stand Peter genau vor dem Fenster, in dem sie gerade saßen. Er schien bester Laune zu sein und sah ungewöhnlich gut gekleidet aus. Anstelle der Ohrwärmer hatte er den Kragen seines Mantel gegen die Kälte hochgeschlagen und sich lässig einen schwarzen Wollschal um den Hals geworfen, sodass die Enden vorn herabhingen. Jennifer hatte ihn noch nie einen Schal auf diese Art tragen sehen. Es war, als hätte er sich das in einer Herrenboutique abgeguckt.
Jennifer zeigte ihm durch die Scheibe, dass ihr der Schal gefiel, und Peter schien zufrieden. Sie stellte sich mit ihrem Kleid in Pose, und Peter antwortete mit einem erhobenen Daumen.
„Würdest du dich bitte wieder setzen“, bat Charles, doch er klang gereizt. „Du machst dich ja noch zum Gespött der Leute.“
„Du bist aber heute ein Miesepeter“, bemerkte sie spöttisch, als sie sich neben ihn setzte. „Nur weil Delphine noch nicht da ist, um dich anzuhimmeln.“
„Vielleicht wird sie ja auch deinen Professor anhimmeln. Er hat sich ja richtig in Schale geworfen! Macht er das deinetwegen, oder hofft er, Delphine zu treffen?“
„Keine Ahnung.“ Jennifer schenkte sich etwas Champagner ein, als ihr etwas einfiel. „Er hat mich gestern gefragt, ob Delphine jeden Abend hier wäre. Als ob ich das wüsste!“
„Du solltest deinen Freund an die kurze Leine nehmen.“
„Wie denn?“
„Wie? Du musst doch nur deinen Charme spielen lassen. Du kennst doch bestimmt irgendwelche weiblichen Kniffe.“
Sie wurde rot. „Nein, so etwas kenne ich leider nicht. Vielleicht sollte ich mir mal ein paar Tipps von Delphine geben lassen. Dich hat sie jedenfalls an die Leine gelegt.“
„Was meinst du damit?“
„Macht sie sich denn genauso viel Sorgen um dich wie du um sie? Sollte es wirklich ein Band zwischen euch geben, dann hast du das Ende mit dem Halsband erwischt.“
Charles’ blaue Augen blitzten wütend auf. „Wir nehmen uns nicht gegenseitig an die Leine. Wir sind zwei Erwachsene, die beide ein eigenes Leben führen.“
„Schön“, gab Jennifer zurück. „Genau wie bei Peter und mir.“
„Quatsch.“
„Wir sollten nicht über unsere Beziehungen sprechen, ja?“
„Ist mir recht.“
Er schenkte sich noch ein Glas Champagner ein. Jennifer fragte sich, ob es Peter wohl interessierte, worüber sie sich gerade mit Charles unterhielt, aber Peter schien irgendwie abgelenkt.
Plötzlich nahm sie aus dem Augenwinkel einen langen, teuren Nerzmantel wahr, der sich durch die Masse drängte. Ein wunderschönes Gesicht lächelte gewinnend, aber nicht in die Richtung von Charles, nein, das Lächeln war für Peter bestimmt. Sie berührte ihn kurz am Arm, und Jennifer konnte sich nicht erinnern, dass Peter sie jemals dermaßen angestrahlt hatte.
„Siehst du, was ich sehe?“, fragte sie Charles tonlos.
„Ja.“ Auch er starrte ungläubig aus dem Fenster. Delphine drehte sich kurz zum Fenster und warf Charles einen Kuss zu. Danach galt ihre ganze Aufmerksamkeit nur noch Peter.
„Ich glaube es nicht.“ Jennifers Stimme war nur noch ein Flüstern. „Sie flirtet mit zwei Männern gleichzeitig.“
„Wir müssen Feuer mit Feuer bekämpfen. Versuch, Peters Aufmerksamkeit zu erregen, und ich versuche es bei Delphine.“
In den nächsten zwanzig Minuten bemühte sich Jennifer, Charles’ Vorschlag umzusetzen. Sie fragte Peter alles, was ihr in den Sinn kam, und er beantwortete auch all ihre Fragen, doch sobald er konnte, wandte er sich immer wieder der Blondine neben ihm zu. Jennifer fand, dass die akademische Aura, die Peter sonst umgab, immer mehr verschwand. Seine „niederen Instinkte“ schienen sich auch auf seine Ausstrahlung auszuwirken.
Charles hatte mit seinen Bemühungen bei Delphine ähnlich geringen Erfolg. Das Ganze war ziemlich frustrierend.
Ein Mitarbeiter rief ihnen zu, es sei an der Zeit, sich umzuziehen und die
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