Julia Collection Band 55 (German Edition)
Wänden standen Leitern herum. Die Wände waren nur teilweise gestrichen und sämtliche Fenster waren geöffnet, sodass das Zimmer völlig ausgekühlt war. Sie zog den Reißverschluss ihrer dreiviertellangen Jacke bis zum Hals hoch.
Gemeinsam mit Jasper war sie nach Seattle geflogen, eine Stadt, in der sie noch nie gewesen war. Bea war aufgrund ihrer Flugangst zu Hause geblieben. Ihre Katze hatte Cheri in der Obhut des Flughafenpersonals gelassen.
„Das ist das Büro des Friedensrichters?“, fragte sie Jasper ungläubig.
Er sah sich niedergeschlagen um, als plötzlich ein kahlköpfiger Mann Mitte vierzig in einem teuren Anzug den Raum betrat.
„Jasper Derring?“, fragte er lächelnd.
„Richter Atkins? Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Die Männer gaben sich die Hand. „Haben wir uns im Datum geirrt?“
Der Richter senkte peinlich berührt den Blick. „Tut mir leid. Die Maler waren eigentlich für gestern bestellt, aber es ist ihnen etwas dazwischengekommen. Deshalb sieht es hier so aus. „Aber die Eheschließungen sind trotzdem rechtskräftig“, scherzte er. „Ist das die Braut?“
Cheri reichte dem Richter lächelnd ihre Hand. „Ja, ich bin Cheri Weatherwax.“
„Nicht mehr lange! Wo ist der Bräutigam? Oder habe ich etwas missverstanden, und Sie beide sind das glückliche Paar?“
„Nein.“ Jasper war die Überraschung anzumerken. „Mein Sohn ist der Glückliche und sollte eigentlich längst hier sein.“
„Vielleicht ist er im Mittagsverkehr stecken geblieben“, mutmaßte der Richter. „Die Maler wollen um ein Uhr wiederkommen, und ich muss um ein Uhr dreißig ins Gericht. Hoffentlich kommt Ihr Sohn noch rechtzeitig.“
Cheri blickte durch das geöffnete Fenster. Es regnete nun, und sie fröstelte ein wenig. Was für ein Tag für eine Hochzeit! Vom Farbgestank einmal ganz zu schweigen. So hatte sie sich ihre Hochzeit nicht vorgestellt.
Als kleines Mädchen hatte sie sich immer ausgemalt, wie sie in einem weißen Brautkleid zum Altar schreiten würde. Allein, denn ihr Vater hatte sich aus dem Staub gemacht. In der Highschool hatte sie sich dann jeden Gedanken an eine Hochzeit verboten. Und ihr Verlobter hatte immer in Las Vegas heiraten wollen. Jetzt wusste sie, warum. Bei einer Hochzeit in Las Vegas musste man keine Vorbereitungen treffen. Und genau die hatte er verhindern wollen, da er ja nie beabsichtigt hatte, sie zu heiraten.
Als Jasper ihr von der Hochzeit im Büro des Friedensrichters erzählte, hatte sie sich eine kleine, aber feierliche Zeremonie vorgestellt. Sie hatte sich extra eine weiße Spitzenbluse und einen dezenten grauen Wollrock angezogen. Wenn sie geahnt hätte, wie es hier aussah, dann hätte sie sich für Jeans und ein altes Sweatshirt entschieden.
Aber das war nun auch egal, da der Bräutigam nicht gekommen war. Ob Jake es sich wohl anders überlegt hatte?
Doch einige Minuten später kam ein großer schwarzhaariger Mann mit einer Brille zur Tür herein. Er schaute irritiert auf die Leitern und Plastikplanen. Seine dunklen Augen erinnerten Cheri an Jaspers. Sie erkannte ihn von dem Foto wieder, das Bea ihr gezeigt hatte. Sein Haar war länger und ein wenig gewellt, und sein Gesicht wirkte nicht mehr so schmal. Er war älter geworden, aber das stand ihm gut. Plötzlich fühlte Cheri eine gewisse Schüchternheit in sich aufsteigen.
„Wo zum Teufel bist du gewesen?“, fragte Jasper ungehalten.
„Ich musste unterwegs umsteigen, und der Anschlussflug hatte Verspätung.“ Jake putzte seine nasse Brille am Regenmantel ab. Darunter trug er einen schwarzen Pullover, Hemd und Hose. „Und dann ist das Taxi im Stau stecken geblieben.“
„Wie ich es vermutet habe“, meldete sich der Richter zu Wort und gab Jake die Hand. „Ich bin Richter Atkins. Ich mahne nur ungern zur Eile, aber die Maler werden bald zurückkommen. Braut und Bräutigam sind anwesend, aber wo sind Ihre Trauzeugen?“
„Dafür sollten Sie doch sorgen“, erinnerte ihn Jasper. „Sie haben doch bestimmt eine Sekretärin oder …“
„Die sind alle beim Mittagessen. Das habe ich doch glatt vergessen.“ Gerade in diesem Moment kehrte die beiden Maler zurück. „Das nenne ich Glück! Vielleicht haben die Herren Lust, die Trauzeugen zu spielen.“ Er ging zu den beiden hinüber und sprach mit ihnen.
Nervös schaute Cheri zu Jake, der immer noch recht verdutzt wirkte. Er blickte sie an und schien erst in diesem Moment zu begreifen, wer sie eigentlich war. Dann kam er zu ihr hinüber.
„Sie
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