Julia Collection Band 55 (German Edition)
in Versuchung, Cheri allein wegen ihrer Kochkünste über dieses Jahr hinaus behalten zu wollen. Nun, es gab schlimmere Versuchungen. Er lebte in der ständigen Angst, schwach zu werden und doch mit ihr zu schlafen.
Eine weitere Sache machte ihm zu schaffen. Einmal die Woche kam Pulse mit ihren Bestellungen angeflogen, und er, Jake, half ihm, die Kisten ins Haus zu tragen. Dabei beobachtete er immer wieder, wie gierig Pulse Cheri anstarrte, egal, wie sie angezogen war. Daher ärgerte es ihn besonders, dass Cheri sich verpflichtet fühlte, diesem fliegenden Don Juan immer ein Stück Kuchen anzubieten. Jake hatte das Gefühl, immer aufpassen zu müssen, solange sich der Pilot auf der Insel aufhielt. Der Mann war ganz schön dreist, die Frau eines anderen Mannes dermaßen anzustarren.
Ansonsten hatten sie eine tägliche Routine entwickelt. Jake stand für gewöhnlich als Erster auf und bereitete sich sein eigenes Frühstück. Dann joggte er den Pfad entlang, der vom Anlegesteg um die ganze Insel führte. Bei seiner Rückkehr war Cheri dann schon angezogen. Mittags brachte sie ihm ein Sandwich, welches er am Computer, oder wo immer er sich gerade aufhielt, aß.
Als er heute sein Geschirr in die Küche brachte, fand er Cheri in einem langen weiten Sweatshirt, Jeans und Sportschuhen vor.
„Gehst du aus?“
„Mir fällt die Decke auf den Kopf. Also habe ich mir überlegt, die Insel zu umrunden.“ Wie Jake hatte sie des Öfteren auf dem Pfad gejoggt, der um die Insel führte. „Pulse hat erzählt, es gäbe hier einen kleinen Strand, und ich möchte sehen, ob ich ihn finde. Ich denke, ich werde vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein.“
Das behagte Jake nicht, denn selbst er kannte nicht die gesamte Insel. „Du hast wohl recht. Aber wenn der Weg zu schwierig wird, solltest du lieber wieder umkehren. Ich möchte nicht, dass du dir einen Knöchel verstauchst und ohne Hilfe bist.“
Seine Sorge um sie rührte Cheri. „Mir wird schon nichts passieren. Ich bin doch kein Kind mehr. Wir sehen uns nachher.“
Fast hätte er ihr noch nachgerufen, vorsichtig zu sein, aber er verkniff es sich. Er musste alles unterdrücken, was den Eindruck erweckte, dass er sich gefühlsmäßig an sie gebunden fühlte. Er war nichts als ein Freund, der sich in zehn Monaten verabschieden würde.
Als er zum Geräteschuppen ging, fielen ihm die Wolken im Westen auf. Es war ein sonniger Tag, aber es braute sich ein Unwetter über den Olympic Mountains zusammen. Jake wusste, dass ein Sturmtief vom Pazifik her aufzog, und er fragte sich, ob die Berge vielleicht eine natürliche Grenze bildeten, die den Regen von den Inseln fernhielten. Er hatte die Befürchtung, dass dieser Sturm besonders schlimm werden würde.
Also ging er zurück ins Haus, um sich am Radarschirm seines Computers anzusehen, wo es im Moment regnete. Die Windgeschwindigkeit hatte sich enorm erhöht, das Barometer war gefallen, und die Temperatur sank. Dies war einer dieser Momente, in denen Meteorologen sich wünschten, Wahrsager zu sein. Er hätte genauso gut eine Münze werfen können, um das Wetter vorauszusagen. Aber genau das wollte er ja mit seiner Forschung erreichen – die Kenntnisse über das Mikroklima so zu erweitern, dass man genauere Aussagen über die Entwicklung des Wetters machen konnte.
Dann las er die Meldungen des Nationalen Wetterdienstes, aber der erschien ihm ebenso vage wie seine eigenen Erkenntnisse. Also verließ Jake erneut das Haus und stieg auf die Klippe, um einen besseren Überblick zu bekommen. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Sturm diesmal die Inseln nicht verschonen würde. Er sollte besser hinter Cheri herlaufen und ihr Bescheid sagen, bevor sie vollständig durchnässt würde.
Er lief, so schnell er konnte, den Pfad entlang, doch er brauchte immerhin zwanzig Minuten, bis er sie eingeholt hatte, so weit war sie schon gekommen.
„Cheri!“, rief er von Weitem.
Sie drehte sich überrascht um.
„Jake! Willst du mich begleiten?“
„Nein. Ich wollte dich warnen. Ein Sturm braut sich zusammen. Wir sollten lieber umkehren, bevor es zu schütten beginnt. Deine Exkursion kannst du ja auch später noch machen.“
Sie blinzelte und zeigte auf den sonnigen, klaren Himmel über dem Sound. „Wo soll denn da ein Sturm herkommen?“
„Schau nach Südwesten.“
„Oh. Aber normalerweise bleiben wir davon verschont. Du sagst doch selbst, dass die Inseln durch die Berge geschützt sind.“
„Manchmal funktioniert es eben nicht.
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