Julia Collection Band 57
anderen sprach ungläubiges Staunen.
Einem kurzen Antippen des Hutes folgte ein knappes: „Hallo, Junge.“
„Guten Tag, Sir.“ Cade lächelte höflich.
„Kennst du mich denn?“, fragte Lincoln leichthin. Lindsey hörte allerdings eine gewisse Anspannung aus seiner Stimme heraus.
„Ja, Sir.“ Cade nickte eifrig. „Du bist Mr Cade. Vor langer Zeit, als es im Wald brannte, bist du mit Lucky und meiner Mom aus Flugzeugen abgesprungen.“
Lincoln entspannte sich sichtlich. „Ja, das stimmt. Es war vor langer Zeit.“
„Ich heiße genau wie du“, redete Cade weiter und hob dabei stolz den Kopf. „Als wir noch in Oregon wohnten, fanden einige Kinder das komisch. Aber Lucky hat gesagt, zwei Nachnamen sind doch toll.“
„Lucky hat das gesagt?“ Lincoln blickte den Jungen eindringlich an. „Du nennst deinen Dad Lucky?“
Die ganze Zeit hatte Lindsey wie versteinert dagestanden. Nichts verriet ihre Anspannung, bis sie jetzt leise seufzte.
Lincoln merkte es ebenso wenig wie Cade. Die beiden waren derart aufeinander konzentriert, dass nichts auf der Welt sie stören konnte.
Cade nickte stumm.
„Kannst du mir sagen, warum, Junge?“ Aus Gründen, die er lieber nicht hinterfragte, brachte er es nicht über sich, den Kleinen nicht bei seinem Namen nennen.
„Ja, Sir.“ Zum ersten Mal wirkte Cade verunsichert. Er senkte den Blick und zögerte einen Moment. „Ja, ich weiß es. Aber es ist ein Geheimnis. Etwas, das Lucky nur mir gesagt hat.“
„Und wenn du darüber redest, würdest du dein Wort brechen?““
„Nein, Sir. Nur wenn ich mit der falschen Person zur falschen Zeit darüber rede.“
Lindsey unterdrückte einen kummervollen Seufzer. Doch Lincolns Aufmerksamkeit galt nach wie vor ganz dem Jungen. „Die richtige Person und den richtigen Zeitpunkt zu erkennen ist aber eine schwierige Aufgabe für einen kleinen Jungen. Selbst wenn er so clever ist wie du.“
„Das hat Lucky auch erst gesagt. Aber dann hat er mir verraten, wie ich es erkennen würde.“
Lincoln machte einen Schritt auf den Jungen zu. Es faszinierte ihn, wie reif er für sein Alter war. „All das hat Lucky dir beigebracht?“
„Ja, Sir.“ Um Cades Mund begann es verdächtig zu zucken. „Er hat mir so viel beigebracht.“
Lincoln hatte sich bemüht, zu diesem lieben kleinen Jungen, der seinen Namen trug, Distanz zu wahren. Doch als er jetzt dessen Traurigkeit sah, beugte er sich zu Cade hinunter. „Lucky war ein ganz besonderer Mensch. Er hat auch mir viel beigebracht.“
„Wirklich?“ Cades Gesicht erhellte sich.
„Ja.“ Lincoln legte Cade eine Hand auf die Schulter. „Das hat mir im Leben oft geholfen. Und bei dir wird das auch so sein.“
„Meinst du?“
„Bestimmt, du wirst sehen.“ Lincoln richtete sich auf, ohne Cade loszulassen. „Ich habe Holz mitgebracht, um die Verandatreppe zu reparieren. Dabei könnte ich deine Hilfe gebrauchen.“
Cades Kummer verflog. „Wirklich?“
„Ich schaffe es auch allein. Aber mit Unterstützung ginge es viel besser.“
„Lincoln, nein.“ Lindsey, die die erste Begegnung von Lincoln Cade und ihrem Sohn bisher schweigend verfolgt hatte, fühlte sich veranlasst, die beiden ein wenig zu bremsen. „Ich kann die Treppe sehr gut selbst reparieren.“
„Das weiß ich, Lindsey. Aber der Junge und ich sind nun schon mal hier.“ Mit einem Lächeln überließ er Cade die Entscheidung. „Stimmt’s, Junge?“
Cade lachte. „Ja, Mr Cade.“
„Bitte nicht.“ Lindsey trat näher, wagte es jedoch nicht, Lincoln zu berühren. „Das ist keine gute Idee.“
Endlich schenkte er ihr seine volle Aufmerksamkeit. Sein Blick war noch kühler als vorhin. „Es geht doch nur um eine Treppe, Lindsey. Wie es aussieht, gibt es hier noch jede Menge für dich zu tun. Der Junge und ich machen uns schnell an die Arbeit.“ Er zeigte auf ihren Notizblock, den sie an sich gepresst hielt. „Und du kannst mit deiner Bestandsaufnahme weitermachen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich an Cade. „Kann’s losgehen?“
„Ja, Sir.“ Cade nickte, und ehe ihm eine seiner dunklen Haarsträhnen ganz ins Gesicht fiel, strich Lincoln sie zurück und setzte ihm seinen Stetson auf.
Lindsey blieb nichts weiter übrig, als den beiden schweigend nachzusehen. Zwei Mal verlor Cade den Stetson. Und zwei Mal setzte er ihn mit größter Sorgfalt wieder auf.
Mit bangem Herzen wurde ihr klar, dass Lincoln mehr getan hatte, als Cade in seinem Kummer über Luckys Tod zu trösten und mit
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