Julia Exklusiv Band 0194
Limousine ist eingetroffen, um Sie zum Haja zu fahren, Miss Lawson.“
Faye schluckte trocken. Mit einer so schnellen Antwort hatte sie nicht gerechnet.
„Keine Sorge … Sie ist in zwei Minuten unten.“ Anerkennend wandte Percy sich seiner Stieftochter zu. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du den Stein bereits ins Rollen gebracht hast?“
Um seiner unangenehmen Gesellschaft möglichst schnell zu entrinnen, eilte Faye zum Lift. Als sie es sich in der luxuriösen Limousine bequem machte, fühlte sie sich in ihrer schlichten, preiswerten Garderobe wie ein Fisch auf dem Trockenen. Und irgendwie kam das der Wahrheit sehr nahe.
Sie hatte ihr ganzes Leben in einem stillen Landhaus verbracht und nur selten jemanden außerhalb des begrenzten Freundeskreises ihrer Mutter getroffen. Percy hatte Sarah Lawson geheiratet, als Faye fünf war. Durch einen Autounfall gelähmt, der ihren ersten Ehemann das Leben gekostet hatte, war Fayes Mutter an den Rollstuhl gefesselt und maßlos einsam gewesen. Sie war allerdings auch eine wohlhabende Witwe gewesen. Nach ihrer Hochzeit hatte Percy weiterhin in einem Apartment in der Stadt gewohnt und unter Hinweis auf seine Arbeitsbelastung seine neue Familie nur gelegentlich besucht.
Faye war nie wie andere Kinder zur Schule gegangen. Sowohl sie als auch ihr Bruder waren anfangs von ihrer Mutter zu Hause unterrichtet worden, aber nachdem Adrian von der Leukämie genesen war, hatte Percy seine Frau überredet, den Jungen die Ausbildung mit Gleichaltrigen beenden zu lassen. Mit elf Jahren hatte Faye sich verzweifelt nach Freundinnen gesehnt und schließlich den Mut aufgebracht, ihrem Stiefvater zu sagen, dass auch sie auf eine öffentliche Schule wolle.
„Und was soll deine Mutter den ganzen Tag allein mit sich anfangen?“, hatte er mit Furcht erregender Miene geschrien. „Wie kannst du nur so selbstsüchtig sein! Deine Mutter braucht deine Gesellschaft … das ist alles, was sie im Leben hat!“
Mit achtzehn wäre Faye am Tod ihrer sanften Mutter beinahe zerbrochen. Erst da hatte sie erkannt, dass manche Menschen glaubten, sie hätte ein für einen Teenager unnatürlich behütetes Dasein geführt. Bei einem Vorstellungsgespräch für eine Ausbildung zur Krankenschwester, die sie im Herbst zu beginnen hoffte, waren etliche kritische Bemerkungen über ihre mangelnde Erfahrung mit der wirklichen Welt gefallen. Dabei hätte sie jedem erzählen können, dass man mit einem Stiefvater wie Percy Smythe unweigerlich einen umfassenden Einblick in die hässlichen Seiten des Lebens gewinnen musste.
Nach einer Fahrt durch die breiten, belebten Straßen, vorbei an einem von hohen Bäumen gesäumten Platz, hielt der Wagen vor einem imposanten alten Sandsteingebäude mit einem prächtigen Tor, das von Soldaten in Paradeuniform bewacht wurde. Verunsichert stieg Faye aus.
Sie ging die Treppe hinauf und betrat eine weitläufige, eindrucksvolle Halle, in der ein stetes Kommen und Gehen herrschte. Stirnrunzelnd blieb sie stehen.
Ein junger Mann im Anzug näherte sich ihr und verbeugte sich. „Miss Lawson? Ich führe Sie zu Prinz Sharif.“
„Danke. Ist dies der königliche Palast?“
„Nein, Miss Lawson. Obwohl die Haja-Festung noch immer der königlichen Familie gehört, erlaubt Seine Königliche Hoheit, dass sie als öffentliches Gebäude genutzt wird“, erklärte er. „Hier befinden sich das Gericht, die Audienzräume sowie Konferenz- und Bankettsäle für Würdenträger und Geschäftsleute, die bei uns zu Gast sind. Prinz Sharif unterhält hier zwar Büros, wohnt aber im Muraaba-Palast.“
Faye betrachtete die hohen Säulen, die die hohe Decke der Halle trugen, und den herrlich schimmernden Mosaikboden. Die Haja summte wie ein Bienenstock. Ein Stammesältester saß auf einer Steinbank und hielt eine Ziege am Strick. Faye sah von Kopf bis Fuß schwarz verschleierte Frauen und andere in eleganter westlicher Kleidung mit hübschen, ernsten Gesichtern, Gruppen von älteren Männern, die die traditionelle Kopfbedeckung, die „kaffiyeh“, trugen, und jüngere in Anzügen mit bloßem Kopf und Akten oder Diplomatenkoffern in der Hand.
„Miss Lawson …?“
Rasch folgte Faye ihrem Begleiter zu einem Seitengang. Wachen, die sowohl mit Gewehren als auch mit kunstvollen Schwertern bewaffnet waren, flankierten eine weit geöffnete Tür. Mit klopfendem Herzen ging sie hindurch. Plötzlich fand sie sich allein in einem üppig bewachsenen Innenhof wieder, dessen Mittelpunkt ein malerisches
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