Julia Exklusiv Band 238 (German Edition)
reisen.“
„Warum tun Sie das?“, wollte sie wissen. „Warum sind Sie so freundlich zu mir?“
Er schien überrascht. „Sie sind fremd in diesem Land. Sie brauchen Hilfe. Es ist meine Pflicht, Ihnen zur Seite zu stehen.“
„Sie haben mich aus dem Auto gezogen, bevor es in Flammen aufgegangen ist. Ich weiß, dass ich Ihnen mein Leben verdanke.“
Er verbeugte sich leicht. „ Mash’Allah. Ihr Leben ist in guten Händen.“
„Mein Leben ist einzig und allein in meinen Händen“, gab sie etwas ungehalten zurück. Sie war diesem Mann vielleicht zu Dank verpflichtet, aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihm trauen konnte. Schon zu oft in ihrem Leben hatte sie auf schmerzhafte Weise erfahren, dass man niemandem vertrauen durfte, dass man immer auf sich selbst gestellt war.
„Wir sind alle in Gottes Hand“, antwortete er ruhig. Er schien in keiner Weise verärgert, vermutlich hielt er ihr zugute, dass sie sowohl unter Schock als auch unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln stand. Solche Medikamente ließen die Menschen zuweilen ihre Zurückhaltung und ihre Umgangsformen vergessen. Ihre Großmutter war kurz vor ihrem Tod auch auf Schmerzmittel angewiesen gewesen. Die ganze Enttäuschung und die Wut, die sich ein Leben lang angestaut hatten, hatten sich in diesen letzten Wochen Luft gemacht …
„Es tut mir leid“, sagte Lucy. „Sie sind so gut zu mir, und ich bin auch noch undankbar.“
„Niemand ist in Bestform, wenn er einen schweren Unfall hinter sich hat“, antwortete er ernst.
Lucy bemühte sich zu lächeln, hatte allerdings keine Ahnung, ob ihr geschwollenes Gesicht die Botschaft übermitteln würde.
„Sie müssen etwas essen, um wieder zu Kräften zu kommen. Was darf ich Ihnen bringen lassen?“
Am liebsten hätte sie einfach noch etwas getrunken, aber sie schwieg aus Angst, dass ihr wieder die Hälfte des Wassers das Kinn hinunterlaufen könnte. Doch Hanif schien ihre Gedanken zu lesen, oder vielleicht hatte sie auch nur allzu sehnsüchtig auf das leere Glas geschaut. Er stand auf, füllte es und trat neben ihr Bett.
„Lassen Sie sich Zeit.“ Damit hielt er ihr das Glas an die Lippen und wartete geduldig, bis Lucy den Arm ausgestreckt hatte, um das Glas zu stützen. Dabei vermied sie es, ihn anzusehen. So eine körperliche Nähe zu einem Mann war sie nicht gewöhnt. „Genug?“, fragte er, nachdem sie schließlich in kleinen Schlucken das ganze Glas geleert hatte.
Sie setzte an, um zu nicken, doch erinnerte sich gerade noch rechtzeitig, wie schmerzhaft jede einzelne Kopfbewegung war. Stattdessen sah sie zu ihm auf. Ihre Blicke trafen sich, und für einen kurzen Augenblick hatte Lucy das Gefühl, als könne Hanif bin Jamal bin Khatib al-Khatib bis auf den Grund ihrer Seele schauen.
Kein sehr hübscher Anblick.
Hanif stellte das Glas zur Seite und half Lucy, sich zurückzulehnen. Dann stand er auf und trat einen Schritt zurück.
Ihr Körper hatte sich federleicht angefühlt, als er ihn aus dem Wagen gehoben und in seinen Armen gehalten hatte, und doch hatte das Erlebnis eine Reihe von Erinnerungen heraufbeschworen, die er tief in seinem Inneren begraben hatte. Erinnerungen an eine andere Frau, die er auf genau dieselbe Weise getragen hatte. An dunkle Augen, die ihn anflehten, sie gehen zu lassen.
Von dem Augenblick an, als er sich über die bewusstlose Lucy Forrester gebeugt und ihren Gurt aufgeschnitten hatte, hatte ihr Geruch ihn nicht mehr losgelassen, hatte die Mauer Risse bekommen, die er zwischen sich und seinem Gedächtnis errichtet hatte. Er hatte versucht, diesen Duft zu ignorieren, während er mit ihr auf seinem Pferd geritten war oder sie im Hubschrauber in seinen Armen gehalten hatte. Doch nun, da sie in Sicherheit war, konnte er die Erinnerungen nicht länger unterdrücken.
Sie ist nicht wie Noor, sagte er sich. Das war auch gar nicht zu übersehen. Noor mit ihren dunklen Augen und der goldenen Hautfarbe war so sanft und gütig gewesen. Der unnachgiebige starre Kern, der sich unter dieser weichen Schale verborgen hatte, war eine Überraschung gewesen.
Lucy Forrester hatte nichts mit Noor gemeinsam.
Ihre unterschiedlichen Augen- und Haarfarben waren dabei noch der geringste Unterschied. Seine Frau war stark gewesen, ein Fels in der Brandung. Diese Frau jedoch war nervös und ängstlich, und sie schien ihn auf eine Weise zu brauchen, auf die Noor ihn nie gebraucht hatte.
„Möchten Sie vielleicht einen Tee?“, zwang Hanif sich zu fragen. „Oder eine leichte
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