Julia Exklusiv Band 238 (German Edition)
in Schwierigkeiten bringen, aber ebenso wenig wollte sie, dass er sie den Behörden auslieferte, und das war seine Pflicht, wenn er die Wahrheit erfuhr.
Vor der Reise hatte sie sich im Internet über Ramal Hamrah informiert. Es handelte sich um einen modernen Staat, in dem die Menschenrechte allgemein anerkannt wurden. Allerdings hatte Lucy keine Ahnung, was das in Bezug auf das Strafmaß für Autodiebstahl bedeutete.
Das Einzige, was sie wusste, war, dass sie sich idiotisch verhalten hatte. Wenn sie sich an die Polizei gewendet hätte, anstatt sich wie eine Furie an Steves Fersen zu heften, säße sie jetzt nicht in der Klemme.
Ein guter Anwalt könnte sie vielleicht mit der Begründung verteidigen, dass sie vorübergehend unzurechnungsfähig gewesen sei, nachdem sie von Steves Machenschaften erfahren hatte. Aber wozu sollte das gut sein? Selbst wenn sie in der Lage gewesen wäre, sich einen Anwalt zu leisten, wie sollte Steve ihr das Geld zurückzahlen, wenn er im Gefängnis saß?
Dabei ging es gar nicht nur um das Geld. Das war ja das Schlimme. Als sie sich in den Jeep gesetzt hatte und davongebraust war, hatte sie insgeheim immer noch gehofft, dass Steve ihr alles würde erklären können, dass alles wieder gut werden würde.
Von wegen.
Lucy beschloss, dass ein klarer Kopf in ihrer momentanen Verfassung doch nicht das Richtige war, und streckte die Hand nach den Schmerztabletten aus. In diesem Augenblick bemerkte sie, dass sie nicht allein war.
„Hallo.“ Lucy bemühte sich, mit ihrem geschwollenen Gesicht zu lächeln. Das kleine Mädchen, das in ein buntes Seidengewand gehüllt war und sich halb hinter der geöffneten Tür versteckt hielt, blieb stumm, rührte sich aber auch nicht von der Stelle. Lucy versuchte es erneut: „Ma ismika?“ Wie heißt du? Zumindest hoffte sie, dass es das bedeutete, denn das kleine Mädchen drehte sich auf dem Absatz um und lief davon.
Kurz darauf erschien an der Stelle, wo das Kind gestanden hatte, die Gestalt einer älteren Frau, die ein leichtes schwarzes Kopftuch trug und offensichtlich außer Atem war. Die Fremde starrte Lucy erschrocken an, murmelte „Entschuldigung“ und verschwand dann ebenso schnell wie das kleine Mädchen vor ihr.
Sah sie so furchterregend aus?
Lucy überlegte, dass es im Badezimmer einen Spiegel gegeben haben musste, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, einen gesehen zu haben. Aber in jedem Badezimmer gab es einen Spiegel über dem Waschbecken, sogar im Haus ihrer Großmutter, die Eitelkeit für eine schwere Sünde gehalten hatte.
Vielleicht hatte ein innerer Schutzmechanismus sie davon abgehalten, das Ausmaß ihrer Verletzungen genauer in Augenschein zu nehmen, doch mittlerweile fragte sie sich schon, wie abschreckend sie wohl aussah. Ob sie dauerhafte Narben zurückbehalten würde?
Sie befühlte vorsichtig die Oberfläche ihres Gesichts. Alles war geschwollen, nichts fühlte sich vertraut an.
Han hatte die Krücken und die Schiene an der gegenüberliegenden Seite des Zimmers abgestellt. Doch Lucy beschloss, sich dadurch nicht entmutigen zu lassen. Sie musste einfach wissen, wie es um sie stand.
Sie rutschte an die Bettkante und ließ ihren gesunden Fuß auf den Boden gleiten. Dann stand sie langsam auf, wobei sie sich auf den Nachttisch stützte und hoffte, dass dieser nicht umfiel. Er fiel nicht um, aber schwankte so stark, dass nacheinander die Tabletten, das Glas Wasser, das Telefon und das Glöckchen auf dem Boden landeten.
Lucy hüpfte auf ihrem gesunden Fuß in Richtung Badezimmer, wobei sie sich an jede verfügbare Türklinke oder Tischkante klammerte, um einen Augenblick zu verschnaufen. Nachdem sie das Bad erreicht hatte, gab es jedoch keine Möglichkeit mehr, sich an irgendetwas festzuhalten. Mit letzter Kraft machte Lucy ein paar Sätze nach vorne und wappnete sich innerlich für den Anblick, der sich ihr nun bieten würde.
Schlagartig wurde ihr bewusst, dass ihre ganze Mühe vergeblich gewesen war. Es hatte einmal einen Spiegel über dem Waschbecken gegeben – die Halterung war noch zu sehen –, aber er war verschwunden.
Sah sie so schlimm aus?
Ohne Vorwarnung gaben ihre Beine nach, und sie sank auf dem Boden zusammen. Dort saß sie eine Weile und atmete tief durch. Als sie anschließend versuchte, sich am Waschbecken nach oben zu ziehen, musste sie erkennen, dass ihr die Kraft dazu fehlte. Es blieben ihr also nur zwei Möglichkeiten. Sie konnte um Hilfe rufen oder auf allen vieren kriechen.
Sie war immer
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