Julia Exklusiv Band 238 (German Edition)
zuerst grau, dann lila und schließlich rosa färbte.
Hanif wurde von Lucys Stimme geweckt, die aus dem angrenzenden Schlafzimmer rief.
„Hallo! Ist da jemand?“
Er stand auf und streckte sich. Seine Glieder waren trotz der milden Nacht kalt und steif. Dann öffnete er die Balkontür. „Was ist los? Funktioniert die Glocke nicht?“
Lucy warf einen missbilligenden Blick auf die Glocke. „Wenn ich damit läuten würde, käme ich mir wie eine Prinzessin vor.“
„Und wäre das so schlimm?“
Sie antwortete nicht.
„Wie fühlen Sie sich?“, fragte er.
„Besser, danke.“ Ihr Blick fiel auf die getönten Glasscheiben, durch die nur schwaches Licht ins Innere drang. „Ich dachte, ich hätte länger geschlafen.“
„Sie haben mehr als zwölf Stunden geschlafen“, informierte er sie. „Das ist nicht die Abend-, sondern die Morgendämmerung.“
Der Schlaf hatte ihr gutgetan. Obwohl es noch ein paar Tage dauern würde, bis die Schwellungen zurückgegangen und die Blutergüsse verblasst sein würden, sah Lucy doch deutlich besser aus, und auch das Bewegen schien ihr leichter zu fallen.
„Möchten Sie mir beim Frühstück auf dem Balkon Gesellschaft leisten?“ Die Frage war ihm herausgerutscht, ohne dass er zuvor darüber nachgedacht hätte. Die Mahlzeiten, die er mit Noor dort eingenommen hatte, als ihre gemeinsame Zeit allmählich ablief, stellten eine kostbare Erinnerung dar. Seitdem hatte Essen jeglichen Reiz für ihn verloren. Aber obwohl er seine Einladung sogleich wieder bereute, zurückziehen konnte er sie nun nicht mehr.
Außerdem würde die frische Luft Lucy guttun, und sie würde die Gelegenheit haben, ihm zu sagen, was sie gestern Abend so dringend hatte loswerden wollen.
„Ich bringe Ihnen die Krücken“, sagte er, ohne auf eine Antwort zu warten.
„In Ordnung.“ Das Lächeln schien ihr immer noch Schmerzen zu bereiten, aber sie gab sich große Mühe. „Ich nehme an, Sie erwarten unbedingten Gehorsam.“
Hanif hätte ihr Lächeln erwidern und damit dafür sorgen sollen, dass sie sich entspannte. Er hatte die Kunst des unverbindlichen Lächelns von seinem Vater gelernt, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, und sie als Diplomat in den besten Kreisen angewendet. Aber wann hatte er das letzte Mal gelächelt und es auch wirklich gemeint? Wann war es keine einstudierte Bewegung seiner Gesichtsmuskeln gewesen, sondern ein Ausdruck aufrichtiger Freude?
Es fiel ihm nicht schwer, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen.
Also versuchte er erst gar nicht, Lucy Forrester mit seinem Diplomatenlächeln abzuspeisen. Das hatte sie nicht verdient.
„Im Gegenteil“, versicherte er ihr mit unbewegter Miene. „Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.“
Er griff nach dem Telefon auf ihrem Nachttisch und drückte eine Taste. „Was möchten Sie essen?“ Als er sah, wie sie zögerte, bat er: „Sagen Sie einfach, wonach Ihnen der Sinn steht.“
„Orangensaft?“
„Orangensaft“, wiederholte er. „Und Tee? Oder Kaffee?“
„Tee, vielen Dank.“
„Und was möchten Sie essen?“
„Oh, das ist mir ganz gleich.“
Er gab es auf, sie weiter zu drängen, und bestellte einfach eine Auswahl.
„Es wird ein paar Minuten dauern“, sagte er, nachdem er aufgelegt hatte. Er hielt ihr den Morgenmantel hin, den er gestern für sie im Badezimmer hinterlegt hatte, und half ihr hinein. „Bis dahin können Sie unter Beweis stellen, wie gut Sie mittlerweile mit den Krücken laufen können.“
Nachdem Lucy geduscht hatte, hatte Hanif ihr ein langes cremefarbenes Nachthemd aus Seide gegeben und einen dazu passenden Morgenmantel. Beide Kleidungsstücke erinnerten sie an die glamouröse Garderobe weiblicher Filmstars. Hanif hatte sich dafür entschuldigt, dass die Sachen nicht neu waren. Offensichtlich hatten sie seiner Frau gehört.
Nun betrat Lucy in diesen Gewändern den Balkon, der sich über die gesamte Länge des Gebäudes zog. Darunter befand sich ein großer Garten, der von zahlreichen kleinen Bächen durchzogen war, die hier und da in einen mit Seerosen bedeckten Teich mündeten. Daneben standen blühende Mandelbäume und hohe Zypressen, so weit das Auge reichte. Als Lucy ihren Blick zum Horizont richtete, konnte sie hinter den Bäumen die Ausläufer eines Gebirges sehen, dessen Gipfel von der aufgehenden Sonne in ein goldenes Licht getaucht wurden.
„Wie schön!“, rief Lucy, während Hanif ihr beim Setzen behilflich war und ihr die Krücken abnahm. „Was ist das für ein Ort?“
„Früher
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