Julia Exklusiv Band 238 (German Edition)
benutzen.
Vielleicht war etwas passiert. Hastig erhob er sich und eilte zu ihrem Zimmer.
Lucy saß jedoch friedlich auf ihrem Bett. Das Lächeln auf ihren Lippen erstarb, als sie ihn erblickte. „Oh … Han.“
„Sie scheinen überrascht, mich zu sehen. Haben Sie denn nicht geklingelt?“
„Doch, aber …“
„Aber?“ Offensichtlich hatte sie nicht ihn, sondern jemand anderen gerufen. Hanif konnte geradezu sehen, wie es in ihr arbeitete.
„… aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie so schnell erscheinen würden“, beendete Lucy ihren Satz.
„Das hier ist kein Palast“, erklärte er. „Eher ein Rückzugsort, an dem man die heißen Sommermonate verbringen kann. So eine Art Ferienhaus.“
„Sie meinen, so wie Balmoral auch nur ein Ferienhaus ist?“, fragte sie ironisch. Dann schien sie sich unsicher zu sein, ob er den Namen kannte, und fügte erklärend hinzu: „Balmoral ist die schottische Sommerresidenz unserer königlichen Familie.“
Hanif verschwieg, dass er nicht nur davon gehört hatte, sondern dass er bereits mehr als einmal dort zu Gast gewesen war. Stattdessen sagte er: „Sie machen sich über mich lustig, Lucy. Rawdah al-’Arusah hat nur zwölf Zimmer. Höchstens fünfzehn.“ Wenn man nur die großen Räume zählte.
„Nun, mir erscheint es sehr groß. Und sehr schön.“
„Es wurde für eine Prinzessin gebaut. Der einzige Mann, der Zutritt zu diesem Gebäude hatte, war ihr Ehemann.“
Sie errötete. „Wollen Sie mir etwa erzählen, dieses Gebäude sei einmal ein Harem gewesen?“
„Ich vermute, dass das, was Sie darunter verstehen, und die Realität so weit auseinanderliegen, dass das Wort dadurch bedeutungslos wird. Dies hier war eine Art Zitadelle. Ein Refugium, zu dem niemand Zutritt hatte außer der Prinzessin.“
„Nicht einmal ihr Ehemann?“
„Nicht einmal ihr Ehemann.“
„Wirklich?“, fragte sie überrascht. „Und wo wohnte er dann?“
„Nicht weit von hier gibt es eine Hütte, wo der Prinz mit seinen Männern Quartier bezog. Auch ich habe dort gewohnt, bis Noor krank wurde und ich hier eingezogen bin, um ihr näher zu sein.“
Lucy nickte. „Und nach dem Tod Ihrer Frau sind Sie hier gänzlich hergezogen.“
„Ja. Es ist so friedlich hier. Ich habe Ruhe vor meiner Familie, und meine Familie hat Ruhe vor mir.“
Seine Familie macht sich Sorgen um ihn, dachte Lucy, und er hat sich hierher zurückgezogen, damit sie seinen Kummer nicht ertragen muss.
„Was machen Sie denn so den ganzen Tag?“, erkundigte sie sich.
„Ich trainiere mit meinen Falken. Besuche Volksstämme in der Wüste und sorge dafür, dass sie alles haben, was sie brauchen. Und ich kümmere mich um den Garten. Er ist lange vernachlässigt worden.“
„Sie wollen ihn wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzen?“
Er schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich. Aber einige der Bewässerungssysteme müssen erneuert werden, sonst wird der Garten eines Tages austrocknen. Außerdem habe ich hier meine Bibliothek. Sie sehen also, es wird mir niemals langweilig.“
„Und dann müssen Sie sich auch noch um fremde Frauen kümmern, die in der Wüste verunglücken“, scherzte sie.
„Ihr Leben ist viel wichtiger als mein Garten oder meine Arbeit“, erklärte er mit ernster Miene.
Lucy erschrak. „Heißt das, Sie haben gerade in der Bibliothek gearbeitet? Das tut mir leid, ich wollte Sie nicht stören …“
„Ich übersetze zurzeit das Werk eines unserer Dichter ins Englische und Französische. Das ist wohl kaum eine besonders dringliche Aufgabe.“
„Aber eine sehr anspruchsvolle“, gab sie zu bedenken. „Sie müssen ja nicht nur die einzelnen Wörter übersetzen, sondern auch ihre Bedeutung, ihren Rhythmus, ihren Klang.“
„Interessieren Sie sich für Literatur?“
„Ich wollte einmal französische Literatur studieren“, antwortete sie leise.
„Aber Sie haben es nicht getan?“
„Nein. Meine Großmutter betrachtete die Universität als eine Brutstätte der Sünde. Als ich mich weigerte, ihr zu gehorchen, regte sie sich so sehr auf, dass sie zuerst einen Herzinfarkt bekam und dann einen Schlaganfall. Es gab niemanden außer mir, der sie hätte pflegen können.“
„Sie hat einen ziemlich hohen Preis gezahlt, um ihren Willen durchzusetzen.“
„Nicht nur sie. Ich auch.“
„Und können Sie denn nicht jetzt studieren?“, erkundigte Hanif sich sanft.
„Ich hatte es vor, doch dann ist Steve Mason aufgetaucht, und seitdem ist der Traum wieder in weite
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