Julia Exklusiv Band 238 (German Edition)
seiner Schwester, „wie schön, dass du anrufst.“
Milly schien sich wirklich zu freuen, und dennoch entging ihm nicht der vorwurfsvolle Unterton. Es war zu lange her, seitdem er sich das letzte Mal von sich aus gemeldet hatte.
„Ich wollte dir nur für deine Mühen danken. Ich kann mir vorstellen, wie lästig dir die Einkäufe gefallen sein müssen.“
Sie schnaubte amüsiert, um ihm zu zeigen, dass sie seinen Sarkasmus sehr wohl verstanden hatte. „Ich hoffe, deine Besucherin hat alles, was sie braucht.“
„Mehr als das, würde ich sagen. Sie will dir übrigens einen Brief schreiben, um sich bei dir zu bedanken. Das ist auch der Grund, weshalb ich anrufe. Ich wollte dich nach dem Namen deiner Mitstreiterin fragen.“
Sie lachte. „Das war Dira. Ich bin so froh, dass sie mich angerufen hat. Wir hatten eine Menge Spaß.“
„Würdest du ihr bitte in meinem Namen ein Geschenk machen, um ihr für ihre Hilfe zu danken?“
„Natürlich, das mache ich gerne.“
„Danke. Und wenn Lucy sich gut genug fühlt, um nach Rumaillah zu fahren und sich dort um einen neuen Ausweis zu kümmern, könntest du ihr vielleicht behilflich sein, ein paar andere Sachen zu erstehen, die sie auch zu Hause in England tragen kann. Nichts allzu Elegantes, und es darf auch nicht zu teuer sein. Sie kann sich keine Designermode leisten, wird aber darauf bestehen, alles selbst zu bezahlen.“
„Eine moderne Frau.“
„Ja“, gab Hanif seiner Schwester recht, „das ist sie.“ Doch egal, wie unabhängig Lucy war, sie war nicht frei. Sie gehörte einem anderen Mann, und das musste Hanif akzeptieren. Er musste auf Distanz zu ihr gehen.
Am besten begann er sofort damit.
Nachdem er sich von Milly verabschiedet hatte, rief er Fathia an und bat sie, den Abend gemeinsam mit Lucy zu verbringen. Dann schrieb er Diras Namen auf ein Stück Papier, das er Lucy in ihr Zimmer bringen wollte. Danach würde er sich in seine Jagdhütte zurückziehen, um den Rest des Tages in der Gesellschaft seiner Männer zu verbringen, deren Gespräche sich um nichts Komplizierteres drehen würden als um ihre Pferde oder Kamele.
Als Hanif jedoch Lucys Zimmer betrat, war es leer. Wahrscheinlich nutzte sie die laue Abendluft, um sich in aller Ruhe den Garten anzuschauen. Hanif hoffte, dass die Bewegung ihr guttun würde.
Als er sich dem Schreibtisch näherte, um den Zettel dort zu hinterlassen, fiel sein Blick auf den aufgeschlagenen Gedichtband, den er ihr geliehen hatte. Interessiert beugte er sich vor, um zu sehen, welches der Gedichte sie zuletzt gelesen hatte.
In dem Garten des Paradieses wandelst du und suchest vergeblich
Nach dem Brunnen von Roknabad
Und der Kemenate von Musalla, wo Rosen ranken …
Hastig schlug Hanif das Buch zu, wobei ein Blatt Papier zu Boden fiel. Er bückte sich, um es aufzuheben. Es handelte sich um die Zeichnung eines Kindes, auf der drei Menschen zu sehen waren.
Eine Familie, die aus Vater, Mutter und Kind bestand.
Obwohl die Zeichnung eher schlicht war, gab es doch keinen Zweifel, wen die drei Strichmännchen darstellen sollten.
Hanif blickte auf und sah Lucy in der Tür stehen, Hand in Hand mit der treulosen kleinen Künstlerin.
Während er jahrelang dagegen angekämpft hatte, dass Noor in seiner Erinnerung verblasste, hatte ihre geliebte Tochter sie bereits nach wenigen Tagen gegen eine Wildfremde ausgetauscht. Eine Frau, die im Gegensatz zu ihrer verstorbenen Mutter über Arme verfügte, mit denen sie Ameerah an sich drücken konnte, und über ein Herz, das zur Liebe fähig war.
8. KAPITEL
„Han …“ Lucy zuckte zusammen, als er das Papier zerknüllte und in die Ecke schleuderte. Beschützend legte sie den Arm um Ameerah, die sich ängstlich an sie klammerte. „Han, das hat doch nichts zu bedeuten. Sie ist doch noch ein Kind. Sie versteht doch gar nicht, was sie da gemalt hat.“
„Aber Sie verstehen es! Sie haben zugesehen, wie sie das Bild gemalt hat, haben Sie womöglich noch ermutigt …“ Er stürmte auf die Tür zu, aber Lucy wich keinen Zentimeter zur Seite. „Lassen Sie mich durch, Lucy.“
„Wohin wollen Sie?“, fragte sie. Hanif glaubte, sich verhört zu haben. Woher nahm sie das Recht, ihm solche Fragen zu stellen?
„Nirgendwohin. In die Wüste. Denn dort ist es genauso leer, wie ich mich fühle. Dort gibt es keine Erinnerungen. Der Sand verwischt alle Spuren.“
Damit schob er sich an ihr vorbei und eilte den Gang hinunter.
„Das ist nicht wahr“, rief sie hinter ihm her. „Sie
Weitere Kostenlose Bücher