Julia Extra 0353
Tag vor sich hergeschoben hatten. „Bist du bereit, uns noch eine Chance zu geben?“
Bei dem Wort „uns“ zuckte Jennie zusammen, was Alex nicht entging. Er konnte es ihr nicht verübeln. Schließlich bezog sich das „uns“ inzwischen nicht mehr nur auf sie beide. Er hatte hinter ihrem Rücken die Regeln verändert. Als sie sich das Jawort gegeben hatten, waren die Voraussetzungen andere gewesen.
Er musste deshalb Jennie die Möglichkeit geben, sich neu zu entscheiden.
Ohne zu antworten, saß sie stirnrunzelnd neben ihm und machte einen zerrissenen und gequälten Eindruck. Am liebsten hätte er die Hand ausgestreckt und ihr die Falten auf der Stirn glatt gestrichen. Aber die Angst, dass sie zurückweichen würde, hielt ihn davon ab.
„Ich weiß, das ist nicht das, wofür du dein Jawort gegeben hast“, ergänzte er. „Es tut mir leid.“
Warum lächelte sie nicht und sagte kein Wort? Ihr Gesichtsausdruck war einfach nur leer und verriet keinerlei Gedanken.
Jennie holte tief Luft. „Ich glaube, ich brauche ein wenig frische Luft“, verkündete sie und stand auf. „Ich werde einen Spaziergang machen.“
Sie ging die Treppe hinunter, und auch Alex erhob sich. Vom Fenster seines Arbeitszimmers aus sah er, wie sie mit verschränkten Armen die Auffahrt entlangging.
Jennie verließ das Grundstück und schlug den Weg ins Dorf ein. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie kaum auf ihre Umgebung achtete, obwohl Elmhurst sich an diesem klaren Januartag von seiner besten Seite zeigte. Der Himmel war strahlend blau, und selbst die dunkelbraunen Ackerfurchen der Felder verliehen der Landschaft Farbe und Tiefe.
Sie spazierte weiter, bis sie die kleine Dorfkirche sah, die sich an die hohe Hecke des benachbarten Herrenhauses schmiegte. Die Tür stand offen, und Jennie verspürte plötzlich das Bedürfnis nach der friedlichen Stille einer leeren Kirche. Vielleicht würde sie hier ihre Gedanken ein wenig ordnen können.
Der Gottesdienst war vorüber, und es brannten noch einige Kerzen. Eine warme und einladende Atmosphäre empfing sie. Sie ließ sich auf einer der Bänke nieder und atmete tief ein.
Wo sollte sie anfangen? Mit ihren Gefühlen?
Sie liebte Alex, trotz allem, was geschehen war. Trotz ihrer übereilten Eheschließung, trotz aller Missverständnisse und selbst angesichts dieser neuen, überraschenden Wendung. Ihr Herz sagte ihr mit unumstößlicher Gewissheit, dass er noch immer der Mann war, in den sie sich verliebt hatte. Nur dass jetzt eine weitere Dimension hinzugekommen war und sie Alex in einem ganz anderen Licht sah. Er war nicht mehr der attraktive Fremde, der sie erobert und mit seiner Intensität und Leidenschaft überwältigt hatte. Er war ein Vater. Und sie hatte einen kurzen Blick in verborgene Tiefen erhascht, die sie schon immer bei ihm vermutet hatte.
Sie stellte sich vor, wie er gerade in seinem Arbeitszimmer stand und aus dem Fenster blickte oder sich in der Küche um Mollie kümmerte und ihre frisch gebackenen Muffins lobte.
Es waren andere Bilder, die sie sich ursprünglich von ihrem gemeinsamen Leben gemacht hatte, als sie ihm in der kitschigen kleinen Kapelle in Las Vegas das Jawort gegeben hatte, Bilder, die ihr aus ihrem alten Leben bekannt waren. Das Bild, wie ihr Leben unter diesen neuen Umständen aussehen könnte, war ihr indessen fremd. Als würde sie die Kleider einer anderen Person tragen.
Seufzend lehnte Jennie sich zurück und betrachtete das Kirchengewölbe. Es schien fast in den Himmel zu reichen, so hoch wölbten sich die Balken und Streben über ihr. Sie bildeten ein elegantes Muster und schienen Jennie zu ermahnen, aufrichtig und ehrlich ihre Gefühle zu betrachten. Es ging nicht darum, was sie fühlen sollte, sondern was sie tatsächlich in ihrem Herzen spürte. Denn sie musste eine Entscheidung treffen, die den Rest ihres Lebens bestimmen würde – und sie hatte schon viel zu oft leichtfertig gehandelt.
Ein weiterer Gedanke breitete sich in ihr aus: Alex brauchte sie. In welcher Weise auch immer …
Doch hatte er wirklich allein sie gemeint, als er in ihre Augen geschaut und das Jawort gesprochen hatte, oder hatte er in Wirklichkeit lediglich einen Ersatz gesucht? Jemanden, der die Lücke füllte, die Becky bereits Jahre zuvor hinterlassen hatte. Jemanden, der nun auch noch Beckys Mutterrolle übernehmen sollte.
Mutter. Das war kein Titel, den die meisten ihrer Freunde und Bekannten mit ihr in Verbindung bringen würden. Im Gegenteil, viele waren der
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