Julia Extra 0353
mit ihr zusammen sein zu können. Sie hatte sich wie etwas Besonderes gefühlt, fast wie eine Königin. Doch jetzt drohte ihre Beziehung sich in erster Linie um Mollie zu drehen. Wo blieb da die Zweisamkeit?
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Es gab noch etwas, das ihr auf der Seele lag. Seit sie sich wieder begegnet waren, hatten sie nicht … noch nicht ein einziges Mal Gelegenheit gehabt, sich zu lieben.
Seit sie einander versprochen hatten, ihrer Ehe noch eine Chance zu geben, waren sie nicht ein einziges Mal vollkommen ungestört gewesen. Sie wurde plötzlich sehr nervös angesichts des Themas und wusste gar nicht, warum. Es ging doch nur um Sex. Keine große Sache. Nur …
Was, wenn auch das plötzlich neu und anders wäre? Wenn sie nicht mehr zu ihrer Leidenschaft zurückfinden würden, weil die Gelegenheiten fehlten?
Es blieb ihr keine Zeit, sich weiter mit ihren Befürchtungen zu beschäftigen, denn der Wagen verlangsamte seine Fahrt, und sie bogen in die Auffahrt zu Alex’ Haus ein.
Jennie war plötzlich äußerst mulmig zumute. Jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Ihr erster Tag als Stiefmutter war gekommen. Das arme Kind!
Das arme Kind, von wegen!
„Warte einen Moment, Lucy. Ich muss nur …“
Jennie presste ihr Handy gegen die Brust, eilte durchs Zimmer und hob die Fernbedienung des Fernsehers vom Boden auf. Entnervt schaltete sie die Lautstärke herunter. Wie sollte man bei diesen Lärm telefonieren?
„Mollie?“, sagte Jennie mit honigsüßer Stimme. „Der Ton bleibt so, okay?“
War die Kleine taub? Jedenfalls reagierte sie in keiner Weise auf Jennies Worte, sondern starrte einfach nur weiterhin gebannt auf den Bildschirm. Kaum hatte Jennie das Zimmer verlassen, schnappte sich Mollie die Fernbedienung und stellte den Ton lauter.
Jennie nahm das Handy wieder ans Ohr. „Tut mir leid, Lucy, ich kann gerade nicht ungestört reden. Buch doch einfach den Tisch im Savoy. Ich werde den Kunden davon überzeugen, dass es die beste Entscheidung ist, die er je in seinem Leben getroffen hat.“
Sie klappte das Handy zu und ließ sich seufzend aufs Sofa fallen. Ob Mollie wirklich taub war? Ihr kam eine Idee.
„Kekse“, flüsterte sie. Die Kleine reagierte sofort und sah Jennie voller Hoffnung an.
Genau wie sie gedacht hatte. Mit ihren Ohren schien alles in Ordnung zu sein.
Jennie klappte ihren Laptop zu. Anfangs hatte sie gedacht, dass sie wunderbar von zu Hause aus arbeiten könnte. Alex hatte in dieser Woche mehrere Gerichtstermine, und bis ein Kindermädchen gefunden war, würde Jennie sich um Mollie kümmern. Doch am zweiten Tag war sie bereits mit den Nerven am Ende.
Wie schafften es Eltern nur, vierundzwanzig Stunden lang auf den Nachwuchs aufzupassen, ohne komplett durchzudrehen? Jennie hatte sich Bücher über Kindererziehung besorgt, um auf ihre neue Aufgabe wenigstens einigermaßen vorbereitet zu sein. Aber jetzt musste sie erkennen, dass es alles reine Theorie war. Sie hatte keinen Schimmer, wie sie mit einer Dreijährigen umgehen sollte, die glaubte, der Boss im Haus zu sein.
Wie wurden Mütter mit einer solchen Situation nur fertig? Vielleicht gab es ja eine geheime Methode, die man bei Geburtsvorbereitungskursen lernte. Aber das half ihr jetzt auch nicht weiter. Sie war überraschend zu einem Kind gekommen und musste nun sehen, wie sie damit klarkam.
Jennie dachte an ihre zahlreichen Cousinen, die ihre Kinder zu Alices und Camerons Hochzeit mitgebracht hatten. Die Kinder hatten sich nach Herzenslust ausgetobt, während die Eltern dunkle Ringe unter den Augen hatten und völlig überfordert wirkten. Ein Angstschauer lief ihr über den Rücken. Vielleicht würde es ja nie besser werden und ihr Leben von nun an immer so weitergehen. Welch erschreckende Vorstellung!
Ablenkung musste her.
Das hatte sie in all diesen Ratgebern immer wieder gelesen. Möglicherweise würde Mollie das ja dazu bewegen, endlich den Fernseher abzuschalten.
Sie ging ins Wohnzimmer hinüber und stellte sich mit verschränkten Armen vor das Fernsehgerät. Mollie quittierte ihre Aktion mit einem Stirnrunzeln.
„Was hältst du davon, wenn wir einen kleinen Ausflug machen?“, schlug Jennie vor.
Mollie schien darüber nachzudenken. Schließlich sagte sie: „Können wir Mami besuchen? Schläft sie immer noch?“
Es war nicht das erste Mal in den letzten achtundvierzig Stunden, dass Jennie diese Frage hörte. Offensichtlich hatte irgendjemand aus der Familie den brillanten Einfall gehabt, Beckys Tod mit
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