Julia Extra 0357
wenn ich anrief und mit ihr reden wollte. Er behauptete, sie sei zu schwach … oder dass sie schlafen würde. Ich glaubte ihm.“
7. KAPITEL
„Das ist widerlich!“ Neo hätte am liebsten jemanden für all das, was man dieser Frau angetan hatte, bestraft. Doch hier war niemand. „Aber warum?“
„Sie wollten, dass ich noch das letzte Konzert gebe. Mein Vater und Bob meinten, ich würde es meinem Publikum schulden, mein Bestes zu geben.“
Neo fluchte ausgiebig.
„Genau.“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem matten Halblächeln. „Mein Vater fand das Ventil für seine Trauer in meiner Karriere.“
„Und du? Hattest du ein Ventil?“
„Meine Musik.“
„Aber du hasstest es.“
„Die Auftritte, nicht die Musik.“
„Und als dein Vater starb, da hast du aufgehört, dich selbst zu quälen.“
„So sehe ich das. Bob allerdings meint, ich verdränge den Tod meiner Eltern, indem ich mich verkrieche und mich mit ihren Sachen umgebe.“
„Sagtest du nicht, er hätte dich davon überzeugt, ihre Sachen auszuräumen?“ Und wieso war dieser Mann noch immer ihr Manager?!
„Ja, nur hat es meine Einstellung zu den Tourneen nicht geändert. Allein bei dem Gedanken, dass ich in einer ausverkauften Konzerthalle auf die Bühne gehen soll, wird mir übel.“
„Keine Sorge, ich werde dich nicht bitten, mir etwas vorzuspielen.“
Ihre Stimmung schlug jäh um, ihre goldbraunen Augen begannen zu strahlen. „Vor dir zu spielen würde mir nichts ausmachen.“
Seine Knie wollten nachgeben – ob aus Überraschung über ihr Angebot oder einfach nur, weil sie so glücklich aussah, konnte er nicht sagen. Um diesen Anfall von Schwäche zu kaschieren, setzte er sich neben sie auf die Bank. „Du würdest wirklich für mich spielen?“
„Wozu hat man Freunde?“, nutzte sie seine Worte.
„Darüber würde ich mich sehr freuen.“
„Abgemacht.“ Alle Trauer war von ihrer Miene verschwunden. „Mir war gar nicht klar, dass ich es möchte. Ehrlich gesagt, ich freue mich schon darauf. Früher habe ich gerne für meine Eltern gespielt.“
Für keinen anderen. Zumindest ließen ihre Worte diesen Schluss zu, dachte Neo. Laut sagte er: „Ich fühle mich geehrt. Und ja, ich freue mich auch schon sehr darauf.“
Mit einem Lächeln wandte Cassandra sich wieder dem Flügel zu. Sie spielte eine kurze Melodie, schlug verschiedene Akkorde an, lauschte konzentriert auf Details, die Neo wohl nie wahrnehmen würde. Seiner Meinung nach war der Klang des Flügels gut.
Auch Cass war dieser Meinung. Der Klang stimmte, der Preis stimmte, und so winkte Neo den Verkäufer heran, der sich bisher diskret zurückgehalten hatte.
„Wir nehmen ihn.“ Neo reichte dem Mann seine Kreditkarte. „Für die Lieferung sprechen Sie bitte alles mit meiner Assistentin ab. Unter dieser Nummer“, er überreichte auch seine Visitenkarte, „erreichen Sie sie direkt.“
„Sehr wohl, Mr Stamos. Wir schicken auch gleich einen Klavierstimmer mit, sodass Sie den Flügel sofort nach dem Transport spielen können.“
Mit Neos Karten zog der Mann sich wieder zurück, doch weder Cass noch Neo standen von der Klavierbank auf.
Cass ließ die Finger über die Klaviatur gleiten. „Es ist lange her, seit ich ein neues Instrument gekauft habe.“
„Bist du in Kauflaune?“
„Ich soll meinen Fazioli aufgeben? Niemals! Aber vielleicht könnte ich mir einige neue Partituren für die Flöte zulegen.“
„Also spielst du doch ein zweites Instrument.“
„Wie gesagt, ich versuche mich daran. Aber ja, warum sollte ich kein zweites Instrument als Hobby haben?“
„Zephyr kritisiert immer, dass ich keine Hobbys habe.“
„Jetzt hast du eines.“ Schmunzelnd klopfte sie ihm auf den Rücken. „Du spielst Klavier.“
„Genau.“
„Lass uns ein paar Akkorde üben.“
„Hier? Wäre das nicht wie ein Auftritt?“
Sie sah sich um. „Hier ist doch niemand. Und der Ausstellungsraum ist schalldicht isoliert, also kann uns niemand hören.“
„Du bist süchtig, ist es das? Fehlt dir dein Flügel?“
„Ich schlage dir einen Handel vor: Du lernst zwei neue Akkorde, und ich spiele dir ein kurzes Stück von meiner neuen CD vor.“
Den Handel konnte Neo nicht ausschlagen. Es machte ihm unglaublichen Spaß, sich von ihr die Akkorde beibringen zu lassen. Niemand störte sie, nicht einmal der Verkäufer, der leise zu ihnen kam, um Kaufvertrag und Rechnung abzulegen, und sich dann ebenso leise wieder zurückzog.
„Okay, ich glaube, ich hab’s“, sagte Neo
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