Julia Extra 0357
können.“
„Wirklich? Wie?“
„Das kann ich nicht mit Worten erklären.“
„Romanschriftsteller tun das.“
„Ich bin Geschäftsmann, kein Poet. Ich werde es dir zeigen müssen.“
„Hier?“ Ihr kam nur ein kleines Krächzen über die Lippen.
„Ja“, sagte er noch, und dann lag sein Mund schon auf ihrem.
Sanft. Sachte. Behutsamer, als er je zuvor eine Frau geküsst hatte. Es war auch für ihn ein erstes Mal. Das Wissen, dass kein anderer Mann vor ihm das getan hatte, zerrte an seiner Selbstbeherrschung. Nur durfte er nicht dem Drang nachgeben, ihren Mund zu plündern, ganz gleich, was das Verlangen von ihm forderte.
Ihre Lippen schmeckten genauso süß wie heute Morgen, schmeckten nach Cassandra. Doch das Wissen, dass diese Lippen noch nie einem anderen gehört hatten, machte den Kuss zu einer einzigartigen Erfahrung.
Er zog Cass an sich, spürte die Wärme, die von ihr ausging. Sie passte so perfekt in seine Umarmung, als wäre sie für ihn erschaffen worden. Sein Körper forderte schmerzend, sie auch auf andere Art in Besitz zu nehmen. Glücklicherweise waren sie an einem öffentlichen Ort, sonst hätte er für nichts garantieren können. Die Freundschaft mit einer Frau war schwerer, als er sich das vorgestellt hätte.
Cass schob die Finger in sein Haar und küsste ihn mit sinnlicher Leidenschaft zurück. Sie hatte noch nie einen Mann so geküsst, aber mit dem Instinkt einer Frau wusste sie genau, was sie zu tun hatte. Ihre Zunge forderte zu einem erotischen Tanz auf. Die kleinen Laute, die aus Cass’ Kehle drangen, ließen Neos Lust fast explodieren. Verdammt!
Er überlegte gerade ernsthaft, ob er sie unter den Flügel ziehen und sie beide somit vor neugierigen Blicken schützen sollte, als ein lautes Quietschen sie auseinanderfahren ließ.
Die Tür zum schallgeschützten Raum stand offen, der Geschäftsführer musste wohl hereingeschaut haben, nur um sie beide in enger Umarmung zu ertappen und sich dann hastig wieder zurückzuziehen, ohne die Tür zu schließen. Durch die offene Tür sah Neo einen Jungen, der in eine Blockflöte blies. Die Frau neben ihm, offensichtlich seine Mutter, schaute zu dem Paar hin. Das selige Lächeln auf ihrem Gesicht war nicht misszuverstehen: Wie romantisch!
Neo stand abrupt auf. Romantik war nichts für ihn, nicht einmal mit Cassandra!
Er streckte Cass die Hand entgegen. „Komm, lass uns zum Lunch gehen.“
„Vergiss die Dokumente nicht“, sagte sie nüchtern, aber ihre Augen drückten etwas ganz anderes aus.
Der Lunch war vielmehr ein Festbankett der mediterranen Küche – Bohnensuppe, griechischer Salat, überbackener Spinat und weitere Spezialitäten. Es war köstlich.
„So isst du doch nicht jeden Tag, oder?“ Cass schob sich genüsslich den nächsten Bissen in den Mund.
„Nein, heute habe ich ja einen Gast. Meine Haushälterin war begeistert, als ich ihr sagte, dass sie sich heute nicht an den Speiseplan zu halten braucht, sondern ein typisch griechisches Mahl zubereiten soll. Sie ist aus der alten Heimat und hält überhaupt nichts von den Anweisungen des Ernährungsberaters.“
Das schien Neo aber nicht im Geringsten zu stören. Cass würde ihre neuen Partituren verwetten, dass die Haushälterin eine mütterliche ältere Frau war, die sich nicht nur um sein Essen sorgte.
Sie deutete mit der Gabel auf all die Schüsseln und Platten. „Das ist ein echtes Festmahl.“
„Freut mich, dass es dir schmeckt.“
„Seit ich damals mit zwölf in Athen aufgetreten bin, habe ich eine Schwäche für griechisches Essen. Athen ist eine wunderbare Stadt.“
„Stimmt, dennoch konnte ich es nicht abwarten, aus Athen herauszukommen.“
„Heute siehst du die Stadt sicherlich mit anderen Augen, oder?“
„Allerdings.“
„Fliegen Zephyr und du oft hin?“
„Mindestens einmal pro Jahr und immer geschäftlich. Wir haben noch nie Urlaub dort gemacht.“
„Wie auch, du machst ja nie Urlaub“, konterte sie.
„Zephyr auch nicht.“
„Also seid ihr beide Workaholics.“
„Was bist du dann? Ein Komponistaholic?“
Sie lachte auf. „Jetzt erfindest du Worte, die gar nicht existieren. Dabei sagte Zephyr doch, du hättest keinen Sinn für Humor.“
„Das sagt er nur, weil das, was er lustig findet, eher an Wahnsinn grenzt.“
„Ihr könnt froh sein, dass ihr einander habt.“
„Er ist meinem Herzen nahe wie ein Bruder.“
Sekundenlang studierte Cass stumm Neos Gesicht, bevor sie sagte: „So etwas hätte ich von dir nicht erwartet. Das
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