Julia Extra 360
soll, dachte Finn. Es würde bei dem einen Kuss hier und heute bleiben. Es würde keinen Sex und keine Zärtlichkeiten geben, nur diesen Moment jetzt.
Und den wollte er nutzen.
Ellie blickte ihm tief in die Augen und fragte neckend: „Nun, Mr McKenna, wollen Sie nicht tun, wozu der nette Richter Sie auffordert?“
„Doch. Einem Richter muss man unbedingt gehorchen“, erwiderte Finn leise.
Plötzlich schienen nur noch er und Ellie zu existieren. Er zog sie an sich und umfasste mit einer Hand ihr Kinn. Die Luft zwischen ihnen schien vor Spannung förmlich zu knistern. Ellie atmete tief, dann öffnete sie die schön geschwungenen rosigen Lippen. Ihre Augen leuchteten, und ihr leichtes blumiges Parfüm duftete verlockend. Es zog ihn immer näher zu ihr hin.
Ja, er begehrte Ellie. Seit dem Moment, als er sie das erste Mal gesehen hatte.
Mit einem Kuss würde er nun die Ehe besiegeln. Aber ging es bei dem Kuss nur darum? Um diesen einen Moment?
Nein, Finn wusste, dass hier noch etwas anderes geschah. Etwas, von dem er nicht sicher war, ob er es in seinem Leben brauchte oder wollte. Er kam sich vor, als würde er am Rand einer Klippe stehen, bereit, zu springen.
Ob ihn unten das Meer oder der felsige Strand erwartete, konnte er beim besten Willen nicht abschätzen.
Sicher war nur, dass er dieses drängende Verlangen spürte. Nach Ellie, nach wenigstens einer Kostprobe …
Finn neigte sich vor und drückte die Lippen auf ihre. Und in dem Moment wusste er es. Der Kuss würde alles verändern.
Ihre Lippen waren weich und schmeckten süß, ihre Haare strichen ihm seidig über den Handrücken. Einen kurzen, seligen Augenblick lang schmiegte sie sich an ihn. Er atmete ihren Duft, den er nie vergessen würde, und schwor sich, diese Sekunden für immer im Gedächtnis zu bewahren.
Da zog sie sich schon wieder zurück, und der magische Moment war vorbei.
Sie blickte ihm noch einmal tief in die Augen, dann wandte sie sich Charlie zu.
„So, jetzt ist es offiziell“, sagte Charlie und schüttelte erst ihr, dann Finn die Hand. Die Trauzeugen gratulierten kurz und verließen das Büro. „Alles Gute euch beiden“, sagte Charlie und lächelte strahlend. „Viel Glück und viele Kinder.“
Ja, um Kinder, besser gesagt um ein Kind, ging es in dieser Ehe tatsächlich. Sogar ausschließlich.
Kurz danach verließ Finn mit Ellie das Gericht, die frisch ausgestellte Trauungsurkunde in der Hand. Für ihn fühlte sie sich schwer wie ein Betonklotz an.
Ich bin mit einer nahezu Fremden verheiratet, sagte Finn sich. Mit einer Fremden, deren kurzer, leichter Kuss in ihm heißes Begehren entfacht hatte.
Nein, lass dich nicht auf sie ein, verlieb dich nicht in sie, vergiss nicht, was deine Prioritäten sind! ermahnte er sich eindringlich.
Auf dem Weg zur Parkgarage kam Finn der Gedanke, dass man auch eine Vernunftehe irgendwie feiern sollte. Immerhin heiratete man nicht jeden Tag. Auch nicht aus Geschäftsgründen.
„Wollen wir nicht irgendwo hier etwas essen, bevor wir nach Boston zurückfahren?“, fragte er Ellie.
„Ich sollte eigentlich sofort zurück. Meine To-do-Liste ist meterlang“, erwiderte sie. „Trotzdem danke für das Angebot.“
Seine Liste war bestimmt kein bisschen kürzer, aber zum ersten Mal seit Langem wollte er nicht ins Büro und an seinem Schreibtisch sitzen, obwohl seine Vernunft heftig dagegen protestierte, sich vor der Arbeit zu drücken.
„Man heiratet schließlich nicht jeden Tag“, meinte er. „Wir sollten wenigsten ein Glas Wein trinken. Das heißt, ich jedenfalls. Du magst ja keinen Alkohol, also spendiere ich dir einen Eistee. Okay?“
„Musst du nicht auch wieder an die Arbeit?“, erkundigte Ellie sich.
„Ja. Aber die hat heute schon einige Stunden gewartet, da kann sie auch noch ein bisschen länger liegen bleiben. Egal, aus welchem Grund wir geheiratet haben, es ist doch ein bedeutsamer Moment für uns beide. Meinst du nicht?“
Er lächelte sie strahlend an.
Dieses Lächeln brachte Ellie dazu, ihren Entschluss zu ändern. Finns Lächeln war so entwaffnend. Es war auch ein bisschen schief, der eine Mundwinkel weiter hochgezogen als der andere. Das gefiel ihr. Ihr gefiel, dass nichts an Finn genau so war, wie man es erwartet hätte.
Sein Kuss vorhin zum Beispiel! Sie hatte gedacht, er würde sie flüchtig auf die Lippen küssen, nur als Geste, die in der Situation erwartet wurde.
Aber Finn hatte viel mehr getan: Er hatte ihr einen Kuss gegeben, wie sie ihn seit Ewigkeiten
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