Julia Extra 360
bisschen stürmisch. Wir mussten ihn schon öfter von verrückten Plänen abbringen.“
„Wer ist wir ?“
„Mein anderer Bruder Brody, der mittlere von uns dreien. Er und ich haben die ganze Vernunft geerbt. Bei uns ist es immer lebhaft zugegangen – das tut es eigentlich immer noch.“
„Ich bin ein Einzelkind und kann mir nicht einmal vorstellen, wie es ist, mit Geschwistern aufzuwachsen“, informierte sie ihn ein bisschen wehmütig.
„Es ist vor allem laut. Manchmal gehen Dinge zu Bruch.“ Finn hob die rechte Hand wie zum Eid. „Großes Ehrenwort, ich war’s nicht, der die alte Vase kaputt gemacht hat. Und wieso der Couchtisch verschwunden ist, kann ich auch nicht sagen.“
Sie hörte das Lachen in seiner Stimme und wünschte sich für Jiao auch solche schönen Erinnerungen an andere Geschwister. Das aber war unwahrscheinlich. Es war schon schwer genug, als Alleinstehende ein einziges Kind zu adoptieren. Und dann gleich mehrere? Unmöglich.
Na ja, vielleicht würde sie eines fernen Tages eine lebhafte, fröhliche Familie haben, so wie Finn sie beschrieb.
Aber dazu müsste sie sich verlieben und das Risiko eingehen, dass man ihr – und Jiao – das Herz brach, wenn die Beziehung letztlich nicht funktionierte. Da war die Vernunftehe mit Finn doch die bessere Lösung.
„Das klingt trotz allem lustig“, meinte Ellie leise. „Meine Eltern haben sich nicht viel um mich gekümmert, als ich klein war. Jetzt lebt meine Mutter in Kalifornien, und ich bin mit meinem Dad allein.“ Sie blickte Finn von der Seite her an. „Mein Leben war immer ruhig und berechenbar.“
Plötzlich fragte sie sich, ob das denn so gut war. Sie war kurz davor, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, was immer mit Chaos, Umschwüngen und Unvorhersehbarem einherging. Würde sie das schaffen?
Sie hatte keinerlei Erfahrung mit Kindern, weil sie nicht einmal als Teenager auf die Kinder von Nachbarn aufgepasst hatte. Finn war als ältester von drei Jungen bestimmt besser für die Elternrolle geeignet.
Allerdings war Ellie felsenfest davon überzeugt und entschlossen, dass sie Jiao von ganzem Herzen lieben und immer für sie da sein würde. Sie würde die Kleine nicht einer endlosen Reihe von Kindermädchen und Babysittern überlassen, sie würde nicht versäumen, zur Theateraufführung der dritten Klasse zu gehen, wenn es einmal so weit war, und sie würde auch keine Nachhilfelehrer für Jiao engagieren, nur um selbst länger arbeiten zu können.
Sie würde einen Weg finden, die Firma zu leiten und gleichzeitig die Mutter zu sein, die Jiao brauchte.
Finn bog von der Autobahn ab. „Dein Leben war bisher vielleicht ruhig und vorhersehbar, aber spontan zu heiraten, wie du es jetzt vorhast, kann man mit den beiden Eigenschaftswörtern nicht beschreiben.“
Ellie lachte. „Du hast recht. Niemand hätte je geglaubt, dass ich eines schönen Tags durchbrenne.“
„Das gilt auch für mich.“ Er wandte sich ihr kurz zu. „Bist du ganz sicher, dass du weitermachen willst?“
Sie dachte an ihr ruhiges, letztlich unausgefülltes Leben. Ja, sie hatte ihren Vater, aber abgesehen davon nur ihre Arbeit. Jiao würde die Leere mit Leben erfüllen …
„Ja, ich bin mir absolut sicher“, antwortete Ellie.
„Okay.“ Er bog in Richtung Innenstadt ab. „Ich auch.“
Er sagte es so leise, dass sie sich fragte, ob mehr dahintersteckte als eine simple Zustimmung. Vermisste Finn auch etwas? Suchte er nach etwas, das die Leerstellen ausfüllte und Leben in die stillen Räume brachte?
Oder war es für ihn nur ein Geschäftsabkommen zu beiderseitigem Nutzen?
Schweigend fuhren sie ins Zentrum und Finn stellte das Auto in einer Tiefgarage ab. Von dort gingen sie das kurze Stück zum Gerichtsgebäude zu Fuß.
Ellie bemerkte anerkennend, dass Finn ein echter Kavalier war. Er hatte ihr die Autotür geöffnet, und beim Überqueren der Straße umfasste er ihren Ellbogen. Es waren nur kleine Gesten, die sie aber sehr zu schätzen wusste.
Das Gericht befand sich in einem imposanten Backsteinbau mit Dutzenden hoher Fenster, und es gab sogar einen Glockenturm auf dem Dach. Das Gebäude erinnerte ein bisschen an eine Kirche, was ja zum Heiraten durchaus passte.
Finn eilte die Stufen hinauf und hielt die schwere Tür auf.
„Danke, Finn“, sagte Ellie und ging an ihm vorbei in die weite lichtdurchflutete Eingangshalle.
„Das ist doch das Mindeste, was ich für meine zukünftige Ehefrau tun kann“, meinte er scherzend.
Bei dem Wort
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