Julia Extra 360
nicht bekommen hatte.
Der Kuss war kurz, aber sehr zärtlich gewesen. Finn hatte ihr Kinn beinah ehrfürchtig berührt, dann hatte er seine Finger über ihre Wange gleiten lassen bis zu ihren Haaren. Er hatte ihr tief in die Augen gesehen und so lange gewartet, bis ihr Herz vor Erwartung wie wild zu pochen begann. Dann erst hatte er sie geküsst.
Welcher Mann sonst nahm sich so viel Zeit für eine so einfache Geste?
Sie kannte keinen.
Nun fragte sie sich, wie es wäre, Finns richtige Ehefrau zu sein. Würde er sie so am Ende jeden Tages küssen? Und morgens, bevor er zur Arbeit ging? Einen Moment lang wollte sie an dieser Vorstellung festhalten und glauben, dass ihre Beziehung echt wäre und nicht nur Mittel zum Zweck.
Finn hatte jedenfalls recht: Man heiratete nicht jeden Tag, und sie hatte keine große Lust, in ihre übliche Welt zurückzukehren und sich all den Fragen auszusetzen, die man ihnen stellen würde. Außerdem musste sie mit ihm klären, welche Geschichte sie der Adoptionsbehörde auftischen sollten und wo sie ab jetzt leben würden. Ja, das war die raue Wirklichkeit.
Bei dem Gedanken verflog ihre Feierlaune völlig.
„Du hast was ?“, rief Riley bestürzt. „Geheiratet?!“
„Ja, aber es ist …“, Finn wollte schon sagen, dass es sich nicht um eine richtige Ehe handelte, da blickte er zu Ellie hinüber.
Sie stand auf dem Bürgersteig einige Meter von ihm entfernt unter einer Eiche und telefonierte ebenfalls mit dem Handy. Sonnenstrahlen, die durch die Zweige fielen, ließen ihre Haare golden leuchten und ihre Haut schimmern.
Er hatte schon viele schöne Frauen gesehen, aber keine, die wie Ellie dazu auch noch eine unglaubliche Persönlichkeit besaß. Jeder Mann wäre froh und stolz, sie seine Frau zu nennen.
Aber ihm ging es ja nur um seine Firma.
„Das kommt unerwartet“, beendete Riley den Satz. „Was hast du dir dabei bloß gedacht?“
„Gar nichts“, erwiderte Finn wahrheitsgetreu.
Er hatte nur testen wollen, wie ernst sie ihren Heiratsantrag gemeint hat und von da an hatte sich alles weiter entwickelt. Als sie vor Charlie standen, hatte er völlig zu denken aufgehört. Er hatte nur noch Ellies strahlendes Lächeln wahrgenommen.
Ja, ausgerechnet ich bin sozusagen durchgebrannt, dachte er und konnte es beinah immer noch nicht glauben.
„Ich dachte, du wärst gegen das Heiraten“, meinte Riley. „Vor allem seit der Geschichte mit Lucy.“
„Richtig. Aber mit Ellie ist es … etwas anderes.“
„Jedenfalls gratuliere ich dir ganz herzlich, mein lieber Bruder. Beim nächsten Familientreffen wirst du das Hauptthema sein.“
Finn lachte. „So spät erst? Wie ich dich kenne, wirst du jetzt gleich Brody anrufen, und die Neuigkeit wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten.“
„Und wo werdet ihr die Flitterwochen verbringen?“
Das Wort ließ vor seinem inneren Auge verführerische Bilder entstehen: Ellie, die in einem knappen Bikini an einem Strand dicht neben ihm lag, die seidige Haut von der Sonne gewärmt und bereit, ihn mehr als nur zu küssen.
Halt, das führt zu nichts! sagte er sich streng, aber er wurde die Erinnerung an den Kuss nicht los. An ihren Duft. An die Wärme ihres Köpers, als sie sich an ihn schmiegte.
Mühsam riss er sich von diesen Gedanken los.
Der Umgang zwischen ihm und Lucy war damals an sich sehr praktisch, gelassen und vorhersehbar gewesen. Dann war dieser Moment des Wahnsinns gekommen, als er die Arbeit hatte liegen lassen und, einen Ring in der Tasche, zu Lucy in ihr Büro geeilt war, um ihr einen Heiratsantrag zu machen.
Und feststellen musste, dass sie ihm hinter seinem Rücken die Kunden abspenstig machte.
Nein, daran dachte er jetzt lieber nicht. Es war wirklich besser, wenn man die Ehe wie ein Geschäftsabkommen anging: mit klarem Kopf, Vernunft und Umsicht.
„Wir haben jetzt keine Zeit für Flitterwochen“, antwortete Finn schließlich. Und später auch nicht, fügte er im Stillen hinzu. „Termine, Konferenzen, all so was.“
Er wollte seinem jüngeren Bruder nicht gestehen, dass es eine Ehe mit baldigem Ablaufdatum war. Statt in die Flitterwochen zu fahren, würden sie sich – wenn sie denn mal beide Zeit übrig hatten – zum Scheidungsrichter begeben.
„Du wirst aber doch ein bisschen feiern, oder?“, erkundigte sich Riley. „Das Ereignis schreit förmlich nach einem Fest. Für einen Junggesellenabschied ist es allerdings schon zu spät, oder?“
„Richtig. Ich bin seit einigen Minuten kein Single mehr. Und an
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