Julia Extra 360
lächelte, als würde Zanders Gesicht ihn trösten. Beruhigt schlief der kleine Junge wieder ein.
Was sein Bruder empfand, ahnte Nico. Er selbst hatte an diesem Kinderbett zum ersten Mal in die Augen seines Sohnes geblickt und sich gefühlt, als würde er in seine eigenen blicken. Und jetzt wusste er, dass er in die seines Bruders geblickt hatte. In diesem Moment erinnerte sich Zander sicher an eine Zeit, an die er sich logischerweise nicht erinnern konnte. Damals hatte der Anblick des anderen genügt, um sich geborgen zu fühlen.
Verstehst du nicht, dass du mir wehtust, wenn du Nico wehtust?
Zander hörte ihre Stimme, als wäre Charlotte bei ihm im Zimmer, und er wünschte, es wäre wahr, dass sie in diesem schwierigen, qualvollen Moment hier wäre. Er wollte sich umdrehen und sie sehen.
„Leo ist in dem Alter, in dem wir beide getrennt wurden“, sagte Nico. „So alt waren wir, als er sie gezwungen hat, zu gehen und dich dazulassen, den Erstgeborenen.“
„Sie ist gegangen und hat dich gewählt“, verbesserte Zander. „Den guten, den hübschen Sohn …“
„Nein.“
Zander konnte sich der Wahrheit nicht stellen, konnte sie nicht von seinem Bruder hören, konnte sie nicht glauben, weil sie seine ganze Vergangenheit änderte. Er rannte hinaus, lief am Strand entlang und durch die Straßen und ertrug es nicht, allein zu sein, während sein glücklicher, auserwählter Bruder in einem Haus hockte, das ein echtes Zuhause war.
Deshalb nahm Zander das Flugzeug nach Rhodos, sprengte das Kasino und hasste sich noch mehr, weil er gewann. Er trank kostbaren alten Weinbrand, der kaum Wirkung zeigte. In Scharen kamen die Frauen auf ihn zu, und Zander wollte, dass es unkompliziert war, dass er sie begehrte, wie er es früher getan hatte. Doch er wusste, dass es um ihretwillen klüger war, wenn er in dieser Nacht für sich blieb.
Er ging in der Präsidentensuite des Hotels auf und ab, und nichts in der luxuriösen Umgebung konnte seinen Zorn besänftigen, nichts konnte ihn beruhigen. Also wartete er auf den Sonnenaufgang, auf die Klarheit eines neuen Morgens, bis zu dem es zwei Stunden hin waren, und dachte an jenes erste morgendliche Telefongespräch. Er dachte an den Zeitunterschied, der Charlotte und ihn einander nähergebracht hatte, stellte sie sich in London vor, wo die Dunkelheit jetzt noch tiefer war als hier.
Charlotte macht mich ganz wirr im Kopf, sie verändert Dinge, sagte sich Zander und ging wütend auf und ab. Sofort wollte er ins Flugzeug steigen und endloser Dunkelheit nachjagen, anstatt dem Morgen entgegenzulaufen, der quälendes Tageslicht mit sich bringen würde.
Nur war er inzwischen müde vom Laufen, völlig erschöpft davon, und er musste sich mit der Tatsache abfinden, dass er jetzt alles tun würde, um bei Charlotte zu sein.
Und er ging weiter auf und ab, weil er nicht wusste, wie er sie aufspüren sollte. Weil er nicht wusste, wie er vorankommen sollte, ohne zurückzukehren. Aber er konnte es nicht ertragen, ohne sie zurückzukehren.
Nico ging mit Zander auf und ab, nicht neben ihm, sondern auf Xanos. Vor Kurzem hatte sich Nico genauso aufgerieben, er kannte die Abgründe der Verzweiflung, die sich jetzt vor seinem Bruder auftaten.
Die ganze Nacht lang ging Nico im Haus und im Garten auf und ab. Er spürte die Raserei seines Bruders, den Schmerz und die Wut, glaubte jedoch daran, dass das Pendel zurückschlagen und sich Zander beruhigen würde.
So fest vertraute er darauf, so verbunden war er mit seinem Zwillingsbruder in dieser Nacht, dass er den Moment miterlebte, als Zander seine Entscheidung traf.
„Nico.“
Er sah auf.
Seine Frau kam nach draußen in den dunklen Garten. Nico hörte wieder das Plätschern der Springbrunnen, er nahm die Welt um sich wieder wahr, als er sich von den Qualen seines Bruders löste und Constantine anblickte.
Was für ein Glück er gehabt hatte, sie hier zu haben, als die Wahrheit zum Vorschein gekommen war. Ohne Constantine an seiner Seite wäre es die reine Hölle gewesen.
„Ich möchte ihm helfen“, sagte Nico.
War das so einfach? Wollte der Mann, der ihn hasste, seine Hilfe? Aber auch wenn sie keine hohe Meinung von seinem Bruder hatte, Constantine war immer für Nico da, mit Worten, mit einem beruhigenden Lächeln.
„Dann tu das.“
14. KAPITEL
Sie vermisste ihn viel mehr, als sie es sollte.
Viel mehr, als ich einen Mann vermissen sollte, der mir so wehgetan hat, ermahnte Charlotte sich, als sie aufwachte. Noch ein Tag ohne
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