Julia Extra Band 0213
sich die Tür öffnete, stand sie direkt vor David. Die Welt schien stillzustehen.
David sah sie wie gebannt an. Er befürchtete, dass sie jeden Moment verschwinden könnte. Er hatte sich so danach gesehnt, diese großen rauchblauen Augen wiederzusehen. Von ihren vollen Wangen und der Neigung ihres Halses hatte er geträumt, und auch das leuchtende Glühen ihrer Haut war ihm zutiefst vertraut. Wortlos saugte er jedes Detail in sich auf.
Sie schienen sich eine Ewigkeit schweigend gegenübergestanden zu haben. Erst als sich die Türen des Aufzugs schlossen, fielen sie sich noch halb im Aufzug fast in die Arme, schraken dann mit unbeholfenen Entschuldigungen zurück.
Schließlich kam Claudia neben ihm im Korridor zu stehen. “Deine Sekretärin sagte, dass du gerade gehst. Entschuldige die Störung. Ich werde dich nicht lange aufhalten.”
“Kein Problem.” David suchte nach seiner Fassung. “Möchtest du mit in mein Büro kommen?” Es war besser, wenn er Ruhe bewahrte. Eine unerwartete Umarmung hätte sie erschreckt.
Schweigend durchquerten sie den Korridor. Davids Sekretärin sah neugierig auf, als sie den Raum betraten. David wirkte ebenso benommen wie das hübsche Mädchen neben ihm. Die Sekretärin, die Davids schlechte Laune die letzten Tage geduldig ertragen hatte, zog ihre eigenen Schlüsse daraus.
“Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt gehe?”, fragte sie.
“Ja, selbstverständlich”, meinte David abwesend. Er öffnete die Tür zu seinem Büro. Claudia ging mit weichen Knien hinein.
Das Büro war groß und durch Fenster zu beiden Seiten erhellt. Claudia blickte auf Londons blassgraue Häusersilhouette. Sie hatte lange einstudiert, was sie sagen wollte. Nun hätte sie sich am liebsten einfach in Davids Arme geworfen.
Die Stille wurde bedrückend. “Ich habe nicht mit deinem Besuch gerechnet”, begann David schließlich ungelenk.
“Ich musste dich sehen”, fing Claudia an. “Ich habe viel nachgedacht, seit ich aus Shofrar zurück bin.”
“Über was?”, fragte er, als sie innehielt.
“Über das Schicksal”, antwortete Claudia mit einem zögerlichen Lächeln. David sah sie entsetzt an. Hoffentlich würde sie ihm nicht wieder von Justin erzählen.
“Ich dachte, du glaubst nicht daran”, entgegnete er bitter.
“Ich glaube immer noch nicht daran. Niemand kann das Schicksal vorhersagen. Man gestaltet sein Schicksal selbst. Es passiert einem nicht einfach. Ich habe mein Schicksal nicht getroffen, als ich dreißig war. Aber ich habe dich getroffen.” Zum ersten Mal konnte sie ihm direkt in die Augen sehen.
“Es war nicht durch das Schicksal bestimmt, dass wir zusammen sind, David”, fuhr sie fort. “Ich weiß nicht, was das Leben für mich noch vorgesehen hat. Aber ich weiß, dass ich nur mit dir wirklich glücklich sein kann. Das konnte ich nicht dem Schicksal überlassen. Ich musste selbst kommen, um mit dir zu reden.”
Lange blieb es still. Claudia befürchtete, David wolle ihr höflich sagen, dass sie ihre Zeit verschwendete, weil er so einen merkwürdigen Gesichtsausdruck hatte.
“Du brauchst nichts zu sagen”, sagte sie eilig. “Ich wollte dich nicht in eine peinliche Situation bringen. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe.”
David regte sich immer noch nicht. “Es war nicht der richtige Zeitpunkt.” Claudia ging in Richtung Tür. “Du wolltest gehen. Ich werde dich nicht länger aufhalten.”
Sie griff tränenblind nach dem Türgriff. “Claudia?”, fragte David in diesem Moment.
Sie hielt inne, ohne sich umzudrehen. “Ja?”, flüsterte sie.
“Möchtest du nicht wissen, wo ich hingehen wollte?”
David zog ein Blatt Papier aus seiner Jackentasche. Er trat damit zu Claudia, die unglücklich auf die Türklinke starrte.
Benommen sah sie auf das Blatt. Nur langsam konnte sie einen Straßennamen erkennen. “Meine Adresse”, sagte sie verständnislos.
“Ich habe Patrick danach gefragt”, meinte David. “Ich wollte dich besuchen.”
“Wieso?”, fragte sie.
“Ich wollte dir sagen, dass ich ohne dich nicht leben kann”, sagte er einfach. Claudia sah langsam auf.
“Claudia.” David schloss sie mit zitternder Stimme in die Arme.
“David”, hauchte sie. “Ach, David.” Er drückte sie heftig an sich und legte seinen Kopf an ihre Schulter.
“Ich liebe dich”, sagte er. Er hauchte wie von Sinnen Küsse auf ihr Haar, ihre Stirn und ihre Augen. “Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.”
Dann küsste er sie endlich auf den Mund.
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