Julia Extra Band 0213
schweifen, von denen sie die meisten von früher her noch kannte. Als sie in Richtung der offenen Flügeltür schaute, die den Blick freigab auf die Treppe zum ersten Stock, sah sie einen ihr unbekannten Mann mit Bart die Treppe herunterkommen.
Etwas unsicher blieb er in der breiten Tür stehen und blickte in die Menge, so als suchte er jemanden – aber irgendwie verstohlen, dachte Kendal stirnrunzelnd.
Mühsam bahnte sie sich einen Weg durch das Dickicht der vielen umherstehenden Leute, doch als sie endlich auf der gegenüberliegenden Seite des Empfangssalons ankam, war der Unbekannte verschwunden.
Blitzartig flogen ihre Gedanken zu Matthew. Da huschte gerade Teeny an ihr vorbei.
“Ach … eine kurze Frage”, sprach Kendal die Haushälterin an und wirkte dabei leicht verstört. “Ob wohl mit Matthew alles in Ordnung ist …?”
“Er hat eben noch geschlafen wie ein Bär”, versicherte Teeny ihr mit einem Lächeln.
Trotzdem wurde Kendal ganz plötzlich von dem drängenden Bedürfnis überwältigt, nach ihrem Sohn zu schauen. Überdies sehnte sie sich nach ein paar Minuten der Stille nach all dem lauten Partygetümmel.
Die Tür zu Matthews Zimmer, so stellte sie zufrieden fest, war fest verschlossen, sodass nur wenig Lärm der Feier eindringen konnte. Die kleine Stehlampe in einer Ecke des Zimmers brannte noch und warf einen matten Lichtschein auf die bunte Plüschtierfamilie, die Matthew sein eigen nannte. Doch nahm er stets nur seinen geliebten blauen Teddy nachts mit in sein Bettchen.
Der Teddy lag auch darin. Doch ansonsten –
das Bettchen war leer!
Panische Angst überkam Kendal; ihr war, als hätte jemand ihr einen Schlag in die Magengrube versetzt. Verzweifelt schaute sie im Zimmer umher.
Wo war ihr Kind?
Wahrscheinlich hatte Jarrad ihn in ihr Schlafzimmer gebracht, weil dorthin noch weniger Partylärm drang. Bestimmt zeigte sie jetzt nur eine panische Überreaktion wegen des noch nicht verarbeiteten traumatischen Erlebnisses der Kindesentführung …
Wie ferngesteuert rannte sie zu ihrem Schlafzimmer – doch auch dort … gähnende Leere. Angsterfüllt suchte sie nacheinander alle übrigen Zimmer ab – nichts.
Der gleiche Schreck wie damals saß ihr nun wieder in den Knochen, die innere Aufruhr und alle Empfindungen jener schrecklichen Woche ohne Matthew kehrten schlagartig zurück.
Da fiel ihr wieder der bärtige Mann ein.
War es möglich, dass
er
den Jungen verschleppt hatte?
Nun kannte Kendal nur noch eines – sie musste sofort Jarrad sprechen. Mit bleichem Gesicht eilte sie nach unten.
“He, Kendal, wieso so hektisch? Trink ein Glas mit uns!” hörte sie jemanden rufen.
Doch Kendal hatte jetzt keine Zeit für Höflichkeit. Sie ignorierte jeden, der sie ansprechen wollte; alle Gäste kamen ihr auf einmal vor wie Zirkusclowns aus einer fernen Welt.
Als sie Jarrad drinnen nirgends ausfindig machen konnte, eilte Kendal in Richtung Garten.
“Jarrad!” Da stand er endlich – in einer ruhigen Ecke hinter der Veranda, dicht bei der großen Zeder, und erhob gerade mit einem älteren Mitarbeiter und dessen Frau sein Glas.
“Jarrad! Es geht um Matthew! Ich kann ihn nirgends finden! Ich habe schon überall …” Abrupt brach sie ab, denn aus der ihr entgegengesetzten Richtung vernahm sie einen vertrauten Ton. Eine unverwechselbare Stimme. Blitzartig drehte sie sich um und sah ein Stück weit entfernt im Schatten der Gartenbeleuchtung jemanden sich bewegen.
Lauren. Lauren mit einem vergnügt strampelnden Matthew auf dem Arm.
Sie kam mit dem Kind auf Kendal zu. “Hallo – ich hoffe, es ist kein Problem, dass ich den Kleinen einmal für ein paar Minuten auf dem Arm halte.” Mit ihrem selbstbewussten Tonfall machte Lauren auf Kendal den Eindruck, als sei es ihr auch egal, wenn Matthews Mutter ein Problem damit haben würde. “Ich nehme nämlich derzeit jede Gelegenheit wahr, schon ein wenig zu üben …”
Obwohl Kendal gerade ein schwerer Stein vom Herzen gefallen war, ihren Liebling wohlauf wiederzusehen, bekam sie nach der überstandenen ersten Schrecksekunde jetzt doch weiche Knie, und sie konnte kaum klar denken … und ebenso wenig verstehen, wovon diese Nervensäge gerade sprach.
“Üben?”, fragte Kendal mit schwacher Stimme. Allmählich kam sie wieder zu sich und nahm das Gelächter und die Musik im Hintergrund wahr.
“Mmm”, murmelte Lauren vielsagend und blickte über Kendals Schulter hinweg verträumt in eine bestimmte Richtung. “Jaja. Ich bin nämlich
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