JULIA EXTRA BAND 0261
achtzehn Monate alt! Sie war noch nie in ihrem Leben krank gewesen!
Nell starrte den Mann an. „Wer sind Sie?“
Er presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf, während er der Stimme am anderen Ende lauschte.
Nell betrachtete Molly in seinem Arm. Beinahe fürchtete sie sich, ihre Tochter zu berühren. Sie sah so zerbrechlich aus, als sei alles Leben aus ihr gewichen.
Der Mann sprach schnell auf Italienisch. Bis zu diesem Moment hatte Nell die Sprache als eine wunderschöne Herausforderung empfunden, jetzt jedoch stellte sie nur eine weitere Barriere dar. Ihr Herz klopfte voller Angst, als der Mann das Handy ausschaltete und in die Tasche zurücksteckte. Warum sagte er nichts? Sah er denn nicht, dass sie sich zu Tode fürchtete? Doch er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf Molly. Seine Stirn war gerunzelt. Offenbar war er besorgt, und das trug auch nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei.
Als er in den Schatten trat, folgte sie ihm. „Dauert es lange, bis die Gondel kommt?“
„Nein.“
„Wissen Sie, was mit Molly nicht stimmt?“ Nervös fuhr sich Nell durch das kurze rotblonde Haar. Wie kam sie darauf, dass er mehr wusste als sie selbst? „Wer sind Sie überhaupt?“
Panik schnürte ihr die Kehle zu. Sie versuchte, das Gefühl zu unterdrücken. Jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt zusammenzubrechen.
„Ich bin Arzt.“ Selbstbewusst musterte er sie.
Falls er sie damit beruhigen wollte, gelang es ihm nicht. Im Gegenteil. Nells Panik wich einer tiefen Verzweiflung. Sie war zu Respekt und Vertrauen Medizinern gegenüber erzogen worden, und sie hatte nie Grund gehabt, ihnen zu misstrauen, bis zu jenem tragischen Vorfall, der ihr die Augen geöffnet hatte.
„Ich bin Dottore Luca Barbaro.“
„Dr. Barbaro“, wiederholte sie wie in Trance. Das alles erschien ihr wie ein Albtraum.
„Ganz recht.“
Er klang, als erwarte er, sie müsste vor Dankbarkeit vor ihm auf die Knie fallen.
„Jetzt, da Sie Ihren Anruf erledigt haben, Dr. Barbaro, geben Sie mir bitte meine Tochter zurück.“
„Trauen Sie mir nicht?“ Er runzelte die Stirn.
„Weshalb sollte ich Ihnen vertrauen?“
„Sie stehen unter Schock“, sagte er irritiert. „Es ist besser, wenn ich das Kind halte.“
Besser? Was war für ein Kind besser, als bei der Mutter zu sein? „Ich stehe nicht unter Schock.“ Sie wollte ihm Molly entreißen, doch sie durfte nicht riskieren, dass sich der Zustand des Kindes durch eine Rangelei verschlechterte.
„Sind Sie uns gefolgt?“, fragte sie misstrauisch.
„Ihnen gefolgt?“ Ungeduld spiegelte sich in seinem Blick wider.
„Wollen Sie mir weismachen, dass Sie einfach so vorbeikamen? Sie geben sich als Arzt aus. Das soll ich glauben?“
„Warum sollte ich Sie anlügen? Ich bin wirklich Arzt. Ich wohne dort drüben.“ Er wies mit dem Kinn auf ein Gebäude.
Nell sah nicht hin. „Und Sie standen gerade ganz zufällig am Fenster, als unsere Gondel vorbeikam?“
„Ihr Gondoliere hat mich angerufen und mir gesagt, dass Sie hier anlegen.“
Das alles hörte sich so unwahrscheinlich an. Andererseits hatte der Gondoliere tatsächlich telefoniert.
„Sie haben Glück gehabt“, bemerkte Luca.
„Glück?“, fuhr Nell ihn an.
„Weil der Gondoliere mich kennt und weiß, wo ich wohne. Marco brauchte nur kurz durchzuklingeln. Und dann hat er Sie hergefahren.“
„Er hat uns absichtlich hierhergebracht?“
Luca zuckte die Achseln. „Er wollte Ihnen nur helfen.“
Die Mutter des Kindes schien über seine Bemühungen nicht besonders dankbar zu sein, erkannte Luca. Erschöpft strich er sich über den verspannten Nacken. In seinem Kopf pochte es. Der lange Schlafentzug forderte seinen Tribut. Heute war eigentlich sein freier Tag, doch als der Anruf kam, stellte Luca sich ohne zu zögern seinem dritten Arbeitstag samt durchwachten Nächten. Das war in Ordnung für ihn. Der Patient hatte immer oberste Priorität.
„Der Gondoliere hat Sie hergebracht, so schnell er konnte.“ Lucas Nerven waren nicht die besten. Er war einfach zu müde. Dennoch wusste er, dass die Sorge der Mutter normal war. Sie hatte ein Recht auf Informationen, aber er war nicht mehr in der Lage, besonders höflich zu ihr zu sein. Er musste das Kind retten. Es ging ihm nicht um ihren Dank oder um seinen Ruf. Hier ging es um ein Menschenleben. Die emotionalen Ausbrüche der Mutter lenkten ihn nur von den wichtigen Dingen ab.
Leider stand ihm keine Krankenschwester zur Seite, die die Frau fortbringen konnte. Mit
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