JULIA EXTRA BAND 0261
es“, antwortete Nell für ihre Tochter. Sie wusste, dass Luca sehen wollte, ob Molly irgendwelche Reaktionen zeigte.
Plötzlich spürte sie seine Hand an ihrem Arm. Er stützte sie. Verwundert sah sie ihn an. Wie ein elektrischer Schlag hatte sich seine Berührung angefühlt.
„Sie sollten sich setzen, bevor Sie zusammenbrechen“, erklärte Luca. „Ich kann sie nicht auffangen, wenn ich das Kind gleichzeitig im Arm halte. Sie müssen jetzt stark sein, für Molly. Sie ist in einem sehr schlechten Zustand, verstehen Sie?“
Nells Magen zog sich zusammen. „Natürlich verstehe ich.“ Aber wie konnte Molly mit einem Mal so krank werden?
„Atmen Sie tief durch, Nell. Das hilft.“
Feindselig starrte sie ihn an. Sie war nicht seine Patientin. Außerdem war es unverschämt, dass er sie einfach bei ihrem Vornamen nannte. Sein Ratschlag hingegen war richtig. Sie selbst riet immer wieder in Stresssituationen zu Atemübungen. Deshalb konzentrierte sie sich jetzt auf eine ruhige Atmung. Doch es fiel ihr schwer.
Luca Barbaro hielt unablässig nach der Gondel Ausschau.
„Hat sie Fieber?“
„Wir werden mehr wissen, wenn ich sie im Krankenhaus untersuchen kann.“
„Sie halten sich für verdammt kompetent, nicht wahr?“, fuhr sie ihn an. Sie wusste selbst, dass sie nicht schreien sollte. Am liebsten wäre sie mit Molly fortgelaufen. Wo aber sollte sie hinlaufen? Nells Herz schwoll an vor Hass auf diese fremde Stadt. Alles, was ihr vorher so schön und aufregend erschienen war, war nun feindselig.
Es war alles ihr Fehler. Warum war sie nicht zu Hause geblieben? Wieso waren sie nicht wie sonst einfach an die Küste gefahren und hatten dort ihren Urlaub genossen? Dann hätte sie sich ausgekannt und gewusst, wo sie Hilfe gefunden hätte. Andererseits war Jake nur wenige Meter vor ihrer Haustür in den Unfall verwickelt worden. Und auch ihm hatte sie nicht helfen können.
Dass das Unglück weit größere Ausmaße annahm, als sie sich in ihren schlimmsten Träumen je hätte ausmalen können, hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst. Erst durch seinen Tod war Jakes dunkles Geheimnis ans Licht gekommen.
Der Unfall war an einem Freitagabend passiert, als die Notaufnahme überlaufen war. Nell war derart in Gedanken versunken gewesen, dass der Schrei der anderen Frau sie unvorbereitet aufgeschreckt hatte. Dieser Schrei hatte Nells Leben so vollständig umgekrempelt, dass nichts mehr so war, wie es einmal erschienen war. Als Nell sich von Jake verabschieden wollte, hatte sie niemand vorgewarnt, dass sie nicht die Einzige sein würde. Niemals hätte sie damit gerechnet, eine andere Frau mit einem Baby im Arm an seinem Bett anzutreffen, die Jake tränenreich betrauerte.
2. KAPITEL
„Erzählen Sie mir jede Kleinigkeit des heutigen Tages, an die Sie sich erinnern.“
Er wollte sie beschäftigen, dachte Nell. Dennoch bemühte sie sich, alles zu rekapitulieren. Wenn sie irgendetwas falsch gemacht und dadurch Mollys Zustand verschuldet hatte, wollte sie die Erste sein, die davon erfuhr. „Beim Aufstehen ging es Molly ausgezeichnet.“
„Denken Sie an den Moment, als Sie die ersten Anzeichen einer Verschlechterung ihres Zustandes bemerkten.“
„Sie meinen den Moment, in dem sie in einen derart tiefen Schlaf fiel, dass sie nicht mehr aufzuwecken war.“
Luca nickte. „Sagen Sie mir, wann die Patientin …“
„Meine Tochter heißt Molly.“ Sie würde es nicht dulden, dass er Molly behandelte, als sei sie eine austauschbare Rolle in seinem Theaterstück.
„… wann Molly schläfrig wurde.“
Nell schüttelte den Kopf. „Warum habe ich gewartet, bis es so schlimm wurde?“
„Weil Sie dachten, dass Molly einfach nur schläft. Und nun stellen Sie Ihre Schuldgefühle zurück, und erzählen Sie mir lieber, was passiert ist.“
Seine harte Stimme brachte sie auf den Boden der Tatsachen zurück. „Es passierte so langsam, dass es mir lange nicht auffiel.“
„Ist so etwas schon einmal passiert, Nell?“
„Niemals. Und für Sie bin ich immer noch Miss Foster, danke schön.“ In Gedanken ließ sie den Tag noch einmal Revue passieren, vom schlichten Frühstück, bei dem sie über Mollys Kakaobärtchen gelacht hatten, und von ihrer wunderschönen Tour durch die Stadt … Da war nichts Auffälliges gewesen.
„Ist Ihnen inzwischen etwas eingefallen?“, fragte Luca Barbaro in ihre Gedanken hinein.
Er war sich seiner selbst so sicher. Doch so gern Nell ihm und seiner Arroganz eine Lektion erteilt hätte,
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