JULIA EXTRA BAND 0262
und picknicken. Nikos, der Bootsführer, war sehr diskret und würde nichts von dem weitergeben, was er unterwegs zu sehen oder zu hören bekam. Ansonsten hätte Lysander ihn nicht engagiert.
Während er unter Deck kletterte und rasch den elegant eingerichteten Salon durchquerte, zwang er seine Gedanken zurück zu seinem Vater und dem Umstand, dem er dessen Anwesenheit auf seiner Insel verdankte. Ungeduldig und bestrebt, so schnell wie möglich wieder von hier zu verschwinden, öffnete er die Tür zur privaten Eignerkabine, in der er seinen alten Herrn vermutete.
Leonidas Rosakis machte dem Wortstamm seines Vornamens alle Ehre, daran bestand kein Zweifel. Hochgewachsen, athletisch gebaut und trotz seines Alters ein immer noch gut aussehender Mann, war er ganz der stolze Löwe mit mächtigem Schädel und ungebärdiger weißer Mähne. Selbst die schwere Krankheit, die er überstanden hatte, konnte diesen Eindruck nicht wirklich schmälern.
Doch momentan wirkte er mehr wie eine schnurrende Riesenkatze, was wohl an seinen beiden Enkeltöchtern lag, den Sprösslingen von Lysanders Schwester Evadne, die ohne Respekt vor der Stellung oder dem Alter ihres Großvaters auf ihm herumturnten. Der Anblick der fröhlich kreischenden Kinder rief bittere Erinnerungen an seinen verlorenen Sohn in Lysander wach.
„Was tust du hier, Vater?“, fragte er barscher, als er beabsichtigte. „Wir haben uns doch erst vor wenigen Tagen in Athen gesehen.“
„Was für eine kalte Begrüßung von meinem einzigen Sohn!“, rief Leonidas in gespielter Dramatik aus. „Was habe ich nur getan, um eine derartige Behandlung zu verdienen?“
Lysander fuhr sich rastlos mit den Fingern durch das blonde Haar, bemüht, sein Temperament zu zügeln, das ihn in Gegenwart seines Vaters immer wieder zu überwältigen drohte.
„Ich bin eher irritiert als missgestimmt, dich hier zu sehen, da du doch genau weißt, wie sehr ich mich momentan nach Ruhe, Abgeschiedenheit und Abstand von meinem Leben in Athen sehne“, behauptete er. „Ich brauche endlich etwas Zeit für mich … ohne dass mein Vater sich wieder mal in mein Leben einmischt.“
„Du nennst die aufrichtige Besorgnis eines liebenden Vaters Einmischung ?“ Leonidas tat gekränkt. „Lysander, du solltest mich doch wirklich besser kennen.“
„Ich kenne dich nur zu gut, Vater“, entgegnete sein undankbarer Sohn trocken. „Und deshalb misstraue ich deinen angeblichen Motiven, die dich hierhergeführt haben, auch zutiefst. Also, was willst du von mir? Geht es dir gesundheitlich wieder schlechter? Möchtest du vielleicht, dass ich einmal mit deinen Ärzten spreche?“
„Erst brichst du mein Herz mit deinem völlig unangebrachten Misstrauen, und dann willst du mich auch noch diesen Quacksalbern ausliefern!“, empörte sich der alte Mann. Traurig schüttelte er seine Löwenmähne, was seine kleinen Enkelinnen zu einem erneuten Kreischkonzert animierte. Leonidas befreite sich sanft aus ihrer Umklammerung, kam um den schweren Schreibtisch herum und schob die Mädchen aus der Kabinentür, wo sie von ihrer wartenden Nanny in Empfang genommen wurden. Dann baute er sich vor seinem misstrauisch dreinblickenden Sohn auf.
„Offen gesagt, habe ich sehr positive Nachrichten für dich. Nachrichten, die einen … na, sagen wir mal, einen verbindlicheren Ausdruck auf dein mürrisches Gesicht zaubern sollten.“
Augenblicklich alarmiert heftete Lysander seinen durchdringenden Blick auf das jetzt zufrieden wirkende Antlitz seines Vaters. Gute Neuigkeiten innerhalb des Rosakis-Clans waren für Lysander erfahrungsgemäß eher ein Synonym für drohendes Unheil oder, zumindest wenn sie von Leonidas kamen, sehr subjektiv beurteilt.
„Und was sollen das für positive Eröffnungen sein? Rück schon raus damit, weil ich mich schnellstmöglich wieder meinen Urlaubsvergnügungen widmen möchte“, forderte er mit einem provokanten Unterton.
Das Lächeln auf dem Gesicht des alten Mannes wich immer noch nicht, was dazu führte, dass sein Sohn sich noch unbehaglicher fühlte als bisher.
„Ich habe gestern zufällig einen alten Freund wiedergetroffen, der … den ich seit Jahren aus den Augen verloren hatte.“ Leonidas schien nach den richtigen Worten zu suchen. Forschend schaute er in das ausdruckslose Gesicht seines Sohnes. „Sein Name ist Takis Koumanidis. Wir haben zusammen die Schule besucht. Erinnerst du dich nicht? Ich habe dir öfter von ihm erzählt.“
Lysander nickte nur knapp, in seinen blauen
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