JULIA EXTRA BAND 0264
Verzweifelt lief Freya ihm nach.
Er quietschte jedoch nur vergnügt und rannte, so schnell seine kleinen Beine ihn tragen konnten, weiter. Immer näher kam er dem schmalen Bürgersteig und einer der verkehrsreichsten StraÃen Londons. Freya sah ihn schon unter den Rädern eines Doppeldeckers. Der kalte Angstschweià brach ihr aus, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Doch dann beugte sich ein groÃer Mann über das Kind und hob es hoch. Freya musste es hilflos mit ansehen, wie er ihr Kind umfangen hielt. Es war Fredo Scarsozi, Enricos langjähriger Bodyguard. Die Knie wurden ihr weich. Nicky schrie frustriert, während Fredo ihn nur fasziniert ansah. Auch er hatte sofort bemerkt, wie ähnlich der Kleine Enrico sah.
âGib ihn mirâ, sagte Freya atemlos, als sie sich etwas gefasst hatte, und streckte die Arme nach ihrem Sohn aus.
Fredo blickte sie nur reglos an, und Freya bekam vor Angst kaum noch Luft. Nicky hatte inzwischen aufgehört zu schreien, weil es interessanter war, den kräftigen Mann anzusehen, der ihn fest im Griff hatte.
âBitte.â Flehend hob Freya die Arme höher.
Nicky hatte bemerkt, wie ihre Stimme bebte. Freya zitterte am ganzen Körper. Die umstehenden Leute wurden langsam unruhig, denn sie konnten offenbar nicht einschätzen, was sich da vor ihren Augen abspielte.
Fredo sah fragend an ihr vorbei. Offensichtlich wartete er auf eine Anweisung seines Chefs. Freya hatte schreckliche Angst. Ein Wort von Enrico, und Fredo würde ihm Nicky übergeben. Dann müsste sie eine ganze Armee aufbieten, um ihr Kind wiederzubekommen.
âAffe?â, fragte Nicky plötzlich, woraufhin Fredo Scarsozi ihn verblüfft ansah, bevor er das Gesicht zu einem widerwilligen Grinsen verzog.
â Grazie, Bambinoâ, sagte er trocken .
Nicky lächelte und zeigte seine perlweiÃen Milchzähnchen. âBitte gib ihn mir zurückâ, bat Freya mit bebender Stimme. âTu, was sie sagtâ, befahl Enrico kühl.
Als der Mann Freya das Kind daraufhin übergab, umfasste sie den geliebten kleinen Jungen so fest, dass er protestierte. Sie fing Fredos wissenden Blick auf und verlieà mit Nicky auf dem Arm, wie von Furien gehetzt, das Gebäude.
âFolg ihrâ, befahl Enrico seinem Bodyguard.
Fredo nickte und machte sich sofort auf den Weg. Inzwischen hatte Enrico sich so weit wieder unter Kontrolle, dass er auf die umstehenden Leute einen beherrschten Eindruck machte. Trotzdem musterten ihn seine Assistenten, als wäre er plötzlich verrückt geworden. Die anderen Anwesenden sahen ihn teils fasziniert, teils furchtsam an. Sie wussten, was seine Anwesenheit bei Hannard bedeutete.
Enrico Ranieri war in ganz Europa dafür bekannt, angeschlagene Firmen aufzukaufen und sie zu sanieren, wobei so mancher Mitarbeiter auf der Strecke blieb. Stets schlug er ohne Vorwarnung zu. Wenn Enrico in einer Firma auftauchte, dann musste man mit dem Schlimmsten rechnen.
Sein soeben an den Tag gelegtes Verhalten war das beste Beispiel dafür. Er hatte eine Mitarbeiterin heruntergeputzt und an die Luft gesetzt, nur weil sie ihr Kind mitgebracht hatte. So jedenfalls hatte es sich den entsetzten Angestellten von Hannard dargestellt.
Die halten mich jetzt bestimmt für kinderfeindlich, dachte Enrico. Wahrscheinlich befürchten sie, dass ich die Kinderkrippe auf der Stelle schlieÃen werde. Vielleicht tue ich das sogar, dachte er rachsüchtig, bedachte die Mitarbeiter mit einem abweisenden Blick und machte sich wieder auf den Weg zu den Fahrstühlen.
Er drückte auf einen Knopf und beobachtete, wie seine Begleiter sich beeilten, zu ihm in den Lift zu steigen. Keiner wagte, den Mund aufzumachen. Das war auch gut so, denn Enrico hatte nur einen Gedanken, der ihn nicht mehr loslieÃ: Freya hatte seinen Sohn zur Welt gebracht.
Der Fahrstuhl hielt in der Führungsetage, und ein BegrüÃungskomitee erwartete Enrico.
Darauf hätte er jetzt gern verzichtet. Im Moment stand ihm der Sinn nicht nach Geschäftsverhandlungen. Er wollte â¦
Der Blick seiner dunklen Augen war so eiskalt, als er den Fahrstuhl verlieÃ, dass die Leute sich erschrocken zurückzogen. Nur ein Mann brachte den Mut auf zu sagen: âBitte hier entlang, Mr. Ranieri.â
Enrico nickte und folgte dem Angestellten in ein groÃes, lichtdurchflutetes Büro, in dem sich auch die anderen Konferenzteilnehmer versammelt hatten. Er ignorierte sie
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