JULIA EXTRA BAND 0269
möglich verbannen. Die kleine geschützte Bucht mit dem Sandstrand war ihre ganz private Oase des Friedens und der Ruhe. Hier konnte sie sich entspannen und die traurigen Gedanken vergessen. Es war sowieso sinnlos, zu intensiv über das, was vor so vielen Jahren geschehen war, nachzudenken.
Hier zu stehen, hinaus aufs Meer zu blicken und die frische Luft tief einzuatmen, half ihr immer, sich zu beruhigen und ihre innere Ausgewogenheit wiederzugewinnen. Diese Methode hatte sich bewährt, wenn Caroline vor lauter Verzweiflung nicht mehr ein noch aus wusste. So würde es auch heute sein, davon war sie überzeugt.
Seit genau siebzehn Jahren war Jack nicht mehr in der kleinen Stadt am Meer gewesen. Jetzt stellte er fest, dass sich der Ort, der ihn nachts bis in die Träume verfolgte, kaum verändert hatte. Der Sommer war längst vorbei, und der Herbst neigte sich dem Ende zu. Dennoch hatte Jack damit gerechnet, Horden lärmender Urlauber zu begegnen. Doch glücklicherweise erwiesen sich seine Befürchtungen als unbegründet. Die Stadt war vom Tourismus verschont geblieben und kam ihm immer noch so ruhig und ziemlich nichtssagend vor wie damals; sie hatte sich kaum verändert. Einen Bevölkerungszuwachs hatte es offenbar auch nicht gegeben.
Wäre es mir lieber, wenn sich hier viel verändert hätte?, fragte er sich wehmütig. Zumindest wären dann die Erinnerungen, die er am liebsten ganz und für immer ausgelöscht hätte, nicht schlagartig wieder erwacht. Die Reihenhäuser mit Blick auf das Meer wirkten noch genauso grau und abweisend wie vor siebzehn Jahren. Und in der Straße, die in die Sackgasse führte, in der er mit seiner Mutter gelebt hatte, schien ebenfalls die Zeit stehen geblieben zu sein. Plötzlich kehrte die mühsam verdrängte Vergangenheit schmerzlich zurück.
Vor allem an ein Ereignis erinnerte er sich klar und deutlich: die erste Begegnung mit Caroline Tremayne. Sie war mit ihren Freundinnen von der Schule nach Hause gegangen, und er war auf den ersten Blick von ihrem Lächeln, ihrem schönenGesicht, dem langen, gelockten, blonden Haar und den wunderschönsten Beinen, die er jemals gesehen hatte, fasziniert gewesen. Sekundenlang hatte er sich wie verzaubert gefühlt. Später hatte sein Herz beim Anblick einer schönen jungen Frau nie wieder so heftig geklopft wie in diesem Moment.
Es regnete, und Jack schob die Hände tiefer in die Taschen seines Regenmantels. Wahrscheinlich hatte Caroline die Stadt, in der er aufgewachsen war, längst verlassen. Sie war damals als Sechzehnjährige gerade erst hierher gezogen. Vermutlich hatte sie schließlich zur Freude ihres Vaters, der im Ort eine Praxis als Allgemeinmediziner aufgemacht hatte, einen jungen ehrgeizigen Arzt geheiratet und lebte jetzt in einem vornehmen Londoner Stadtviertel.
Er fragte sich, ob sie Kunst studiert hatte, wie es ihr Plan gewesen war. Vielleicht war sie auch damit zufrieden, Hausfrau und Mutter zu sein, während ihr Mann sich auf seine Karriere konzentrierte.
Zornig fuhr er sich mit der Hand durch das nasse dunkle Haar und verlangsamte den Schritt. Er ärgerte sich darüber, dass er es immer noch unerträglich fand, sich Caroline mit einem anderen Mann vorzustellen. Als erfolgreicher Unternehmer traf er jeden Tag schwerwiegende und weitreichende Entscheidungen. Das war für ihn ein Kinderspiel im Vergleich zu seinen bisher vergeblichen Versuchen, die quälenden und beunruhigenden Erinnerungen an Caroline Tremayne auszulöschen. Sie hatte es nicht verdient, dass er auch nur einen einzigen Gedanken an sie verschwendete, das war die nackte harte Wahrheit. Nach allem, was sie ihm vor siebzehn Jahren angetan hatte, konnte er keiner Frau mehr vertrauen.
Jack zwang sich, die bitteren Gefühle zu verdrängen und sich darauf zu konzentrieren, was er hier erledigen wollte. Entschlossen ging er auf das verfallene viktorianische Haus zu, in dem er aufgewachsen war und das jetzt ihm gehörte.
Caroline hatte gehofft, sich am Meer entspannen und neue Kraft schöpfen zu können, aber der plötzlich einsetzende Regen machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Während sie mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, wehte ihr der Wind den Regen ins Gesicht. Dummerweise hatte sie das Regencape vergessen,und die sportliche Jacke, die sie heute anhatte, bot keinen Schutz gegen dieses Wetter.
Als ihr ein Auto mit viel zu hoher Geschwindigkeit entgegenkam, stieg sie vorsichtshalber vom Rad und wich auf den Gehweg aus. Da sie sowieso bald zu Hause war,
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