JULIA EXTRA BAND 0269
Nikos würde sie nicht so durchdringend ansehen.
„Das heißt, du hast deine Schwester großgezogen, oder?“
„Ja, bis sie sieben war. Dann entdeckte meine Mutter offenbar, was für eine schöne kleine Tochter sie hatte.“ Sie lächelte gequält. „Für meine Mutter war ich eine Enttäuschung, weil ich mich mehr für Bücher als für schöne Kleider interessierte. Außerdem war ich sehr scheu und zurückhaltend. Tiffany war ganz anders.“
„Deine Mutter hat endlich die Verantwortung für ihre Tochter übernommen, und du hast dich so einsam gefühlt, dass du noch mehr Zeit mit deinen Büchern verbracht hast“, stellte er ruhig fest.
„Na ja …“ Sie wandte den Blick ab und fragte sich, wieso sie hatte glauben können, Nikos sei nicht einfühlsam. „Es stimmt, ich war einsam, und ich habe Tiffany vermisst. Wahrscheinlich habe ich auch später in Tiffany immer noch das süße kleine Mädchen gesehen. Natürlich ist mir aufgefallen, dass sie sich verändert hatte. Sie ging gern auf Partys, flirtete gern und legte Wert auf Äußerlichkeiten. Ich glaube, sie hat es mehr als mich getroffen, als mein Vater alles verlor.“
„Ist er bankrottgegangen?“
„Ja. All sein Geld war irgendwann weg. Er war zu leichtsinnig damit umgegangen, und hatte zahlreiche Affären, die ihn viel kosteten.“
„Und danach mussten sich deine Mutter und Tiffany sehreinschränken und auf vieles verzichten.“
„Genau. Ich hatte mir eine kleine Wohnung gekauft, die ich später vermietet habe, um wieder zu Hause zu wohnen und meiner Mutter finanziell zu helfen. Das größte Problem war Tiffany. Sie nahm es meinem Vater sehr übel, dass er das ganze Geld für andere Frauen ausgab. Sie wollte ausgehen, Spaß haben und …“ Angie verstummte.
„Sie wollte ausgehen und die Männer benutzen“, beendete Nikos den Satz für sie.
„Es war nicht wirklich ihre Schuld. Meine Mutter hat ihr eingeredet, sie sei so schön, dass sie auch die reichsten Männer haben könne. Mit dieser Einstellung ist Tiffany aufgewachsen.“ Angie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Es klingt fürchterlich, nicht wahr?“
„Es gibt viele Frauen, die so denken.“
„Hast du deshalb nie geheiratet?“, fragte sie.
„Ich habe nicht geheiratet, weil ich noch nicht die Frau kennengelernt hatte, mit der ich mein Leben verbringen wollte. Ich möchte keiner Frau das antun, was mein Vater meiner Mutter angetan hat.“
„Hat sie nie daran gedacht, ihn zu verlassen?“
„Sie liebt ihn“, antwortete er. „Und wenn man liebt, tut man die seltsamsten Dinge.“
„Ja“, stimmte Angie ihm zu. Sie sprach aus Erfahrung, denn sie liebte Nikos und ließ sich auch immer wieder zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen. Sie hatte sogar schon daran gedacht, ihm eine Liebeserklärung zu machen.
Wie würde er reagieren, wenn er wüsste, was sie für ihn empfand? Wahrscheinlich würde er sie auslachen, oder er wäre entsetzt. Nein, sie würde die Situation nicht noch schwieriger machen, indem sie ihm ihre Liebe gestand.
Bevor sie zu Bett gingen, tranken sie noch einen Mokka.
„Ich habe morgen früh eine Besprechung in Athen“, erklärte Nikos kühl. „Ich schlafe in dem Zimmer nebenan, damit ich dich nicht störe.“
Er wollte nebenan schlafen? Was für eine Enttäuschung. Am liebsten hätte sie ihn gebeten, bei ihr zu bleiben, aber wahrscheinlich war das keine gute Idee.
„Gut. Dann bis morgen“, sagte sie deprimiert.
Sie verbrachte die zweite schlaflose Nacht in Folge. Immer wieder wurde sie von denselben Gedanken heimgesucht: Nur durch ihre Schuld war es zu dieser Heirat gekommen. Ja. Aber wenn er zwei Jahre an sie gebunden war, ohne es zu wollen, konnte sie wenigstens versuchen, ihm die Sache zu erleichtern. Deshalb stand sie am nächsten Morgen sehr früh auf.
Eigentlich sehe ich gar nicht so schlecht aus, dachte sie, während sie sich im Spiegel betrachtete. Er hatte immer wieder behauptet, ihm gefielen ihre Augen, und dass er sie körperlich begehrte, konnte nicht gespielt sein. Sicher, er hatte es gestern Abend sehr eilig gehabt, von ihr wegzukommen. Aber sie wollte versuchen, ihn zurückzuerobern.
Er liebte selbstbewusste Frauen, also musste sie ihm beweisen, dass sie selbstbewusster geworden war. Was die Kleidung betraf, hatte sie rasch gelernt, in welchen Outfits sie besonders gut aussah.
Ihre Beziehung brauchte sich nicht auf Sex und Äußerlichkeiten zu beschränken. Angie war intelligenter als seine früheren Freundinnen, und er nahm
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