JULIA EXTRA BAND 0273
von hier?“ Sie wandte den Kopf und blickte suchend die Straße hinauf.
„Nein.“ Er runzelte die Stirn, während ihm tausend Möglichkeiten durch den Kopf schossen, wie sie den Abend auf angenehme Art beschließen könnten.
„Dann müssen Sie mich nicht begleiten.“
„Selbstverständlich begleitete ich Sie.“ Ihre Unabhängigkeit ärgerte ihn. Er war es nicht gewöhnt, dass Frauen die Richtung bestimmten – nicht in seiner Gegenwart. Er ergriff stetsdie Initiative. „Ich kann Sie doch nicht mitten in der Nacht allein durch Rom laufen lassen.“
„Ich kann mir ja ein Taxi nehmen.“
„Ich dachte, Sie wollen zu Fuß gehen. Außerdem ist hier nirgends ein Taxi.“
„Dann nehme ich eben den Bus.“
Unfassbar! Bevor er sich versah, stieg sie schon in einen soeben vor ihnen anhaltenden Touristenbus.
„He, was machen Sie denn?“, rief er. Doch wenn er eine Antwort wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als ebenfalls in den Bus zu steigen.
„Eine Stadtrundfahrt bei Nacht.“ Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von Entschlossenheit, während Kate in ihrer Tasche nach dem Fahrgeld kramte.
„Gehen Sie schon mal nach oben und sichern sich einen Sitz in der vordersten Reihe. Ich bezahle.“ Er konnte es nicht fassen, dass er das sagte. Genauso unglaublich war die Tatsache, dass Santino Rossi in einem Bus fahren wollte. Wann hatte er das zum letzten Mal getan?
Zwei Minuten später setzte er sich neben sie. Kate hatte es tatsächlich geschafft, zwei der begehrten Sitzplätze in der ersten Reihe zu ergattern. Inzwischen hatte sie sich Kopfhörer aufgesetzt. Jetzt drehte sie an einem Rädchen, um die Ausführungen über die Sehenswürdigkeiten in ihrer Muttersprache zu hören. Als er die Kopfhörer von ihren Ohren zog, blinzelte Kate überrascht.
„He, trauen Sie mir nicht zu, dass ich mich auf dem Forum Romanum auskenne? Ich bin gebürtiger Römer.“
„Daran kann es wohl keinen Zweifel geben“, erwiderte sie, während der Bus sich dem in grelles Flutlicht getauchten Kolosseum näherte.
Jetzt flirtete sie beinah mit ihm. Diese Erkenntnis wirkte wie Balsam auf seiner wunden Seele. Leider währte der angenehme Zustand nur kurz, weil Kate das Gesicht gleich darauf verschlossen abwandte.
Seit langem hatte er seine Geschichtskenntnisse nicht mehr herausgekramt. Aber für Kate war er bereit, sich die Mühe zu machen. Er deutete auf eine der Aussparungen in dem antiken Gemäuer des Kolosseums. „Da unten ist die Arena. Können Sie sie sehen?“
Sie sah in die Richtung und erschauerte. Das konnte er ihr nicht verdenken. Das Einzige, was fehlte, war das Brüllen der blutrünstigen Menschenmenge.
Abermals erschauerte Kate.
„Ist Ihnen kalt?“
„Nein, alles in Ordnung.“
Doch in dem offenen Bus wehte ein kalter Wind. Santino zog sein Jackett aus, um es ihr zu geben.
„Danke, mir ist wirklich warm genug“, wehrte sie eilig ab, als sie merkte, was er vorhatte.
„Stimmt nicht, Sie frieren“, beharrte er, während er ihr die Jacke schützend um die Schultern legte.
„Und was ist mit Ihnen?“
Ihm war im Moment nur wichtig, dass sie sich wohlfühlte. Was für eine seltsame und gefährliche Anwandlung, wunderte Santino sich.
„Ihr Boss kann unmöglich zulassen, dass Sie sich einen Schnupfen holen, wenn Sie dienstlich mit ihm unterwegs sind.“ Er blieb so unpersönlich wie möglich. Höchste Zeit, sie beide daran zu erinnern, dass diese Bustour nur die etwas ungewöhnliche Verlängerung eines Arbeitsessens bedeutete.
„Haben Sie Angst, ich könnte morgen zu spät zur Arbeit kommen?“ Zu seiner Überraschung entdeckte er ein humorvolles Glitzern in ihren Augen. Plötzlich wurde ihm bei dem Gedanken, dass sie für ihn arbeiten würde – wenn auch nur für ein paar Tage – vor Freude ganz warm. Wann hatte er jemals zuvor so empfunden?
Als der Bus langsam an einer altertümlichen Ruine vorbeifuhr, streckte Kate die Hand nach den Kopfhörern aus. „Eigentlich wollten ja Sie für mich den Fremdenführer spielen“, erinnerte sie Santino, während sie das Kabel entwirrte.
„Das will ich immer noch.“ Sanft nahm er ihr die Kopfhörer aus den Händen. Mit aller Macht musste er sich dabei gegen den Drang zur Wehr setzen, ihre Finger noch einen Moment länger zu spüren.
„Jetzt kommt gleich der Tempel der Vesta“, kündigte er sachlich an, um die plötzliche Anspannung abzuschütteln, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Er legte den Kopfhörer zwischen sie auf den Sitz und rutschte ein
Weitere Kostenlose Bücher