JULIA EXTRA BAND 0274
sich vor und zauste Lilys blondes Haar. „Du eine graue Maus? Von wegen.“
„Du weißt, was ich meine.“
Sie nickte. „Natürlich. Ich finde seine Idee großartig und bin froh, dass du ihm hilfst. Trotzdem … Ich nehme dir nicht ab, dass du nur aus reiner Menschenliebe zugesagt hast.“
„Rose! Können wir das Thema wechseln?“
„Okay, okay, wie du möchtest. Es gibt übrigens etwas, über das wir dringend reden müssen.“ Sie griff nach ihrer Handtasche. „Warrens Privatdetektiv George Smith hat Informationen über unsere Schwester.“
Lily konnte sich kaum noch halten vor Freude. „Hat er siegefunden?“
„Das nicht, aber eine Spur.“ Lächelnd faltete sie einen Zettel auseinander. „Hier steht, dass sie seit mehreren Monaten für eine internationale Hilfsorganisation in Osteuropa arbeitet.“ Sie reichte Lily das Blatt.
„Für das Friedenskorps?“
„So etwas Ähnliches.“
Lily las die paar Zeilen auf dem Papier. Tränen brannten in ihren Augen. „Laurel Standish. Jetzt hat sie endlich einen Namen – und einen Beruf. Es gibt sie also.“
„Ja.“ Auch Rose stiegen Tränen in die Augen. „Mir ging es genauso, als Warren mir davon erzählt hat. Zuerst konnte ich es nicht glauben.“
„Nach dem, was hier steht, arbeitet sie als Krankenschwester.“ Lily lachte, doch ihre Stimme zitterte. „Was Nächstenliebe betrifft, ist sie uns damit haushoch überlegen.“
„Anscheinend liegt es in der Familie.“
„Aufgewachsen im Bundesstaat New York“, las Lily laut, „die Mutter im letzten Jahr verstorben. Wie schrecklich! Aber der Vater lebt noch.“ Aufgeregt sah sie ihre Schwester an. „Wir sollten zu ihm fahren und mit ihm sprechen, meinst du nicht?“
„Unbedingt. Er kann uns wenigstens Bilder von ihr zeigen, wenn sie noch immer unterwegs ist.“
„Und uns ihre Adresse geben.“
Rose nickte. „Weißt du, ich habe das Gefühl, dass wir nach all den Jahren endlich Antworten bekommen werden. Selbst wenn sie nichts von unseren Eltern weiß, sie ist unsere Schwester. Die Nummer drei, nach der wir so lange gesucht haben.“
„Ich kann es kaum erwarten“, rief Lily glücklich und umarmte Rose. „Wann fahren wir hin?“
„Erst nach deinem Ball. Vergiss nicht, du hast dich verpflichtet.“
„Das habe ich nicht vergessen.“
„Gut, denn ich sterbe vor Neugier. Du musst mir alles ganz genau erzählen. Wann soll es denn losgehen?“
„Morgen, nehme ich an.“ Lily spürte, wie ihr mulmig wurde. „Das Ganze ist einfach verrückt.“
„Unsinn!“ Rose lächelte ihr aufmunternd zu. „Alles, wasdu tun musst, ist, ein paar Mal mit ihm ausgehen und dich fotografieren lassen. Was ist schon dabei?“
Als Lily am nächsten Morgen aufstand und aus dem Fenster sah, wartete eine weiße Stretchlimousine vor dem Apartmenthaus. Kurz darauf klopfte jemand an die Tür. Im Bademantel und mit zerzaustem Haar öffnete Lily. Ein uniformierter Chauffeur stand vor ihr.
„Guten Morgen. Sind Sie Ms. Tilden?“
„Ja.“
„Prinz Conrad hat mich gebeten, Sie abzuholen.“
Misstrauisch runzelte sie die Stirn. „Können Sie sich ausweisen?“ Lily war gründlich, beruflich und auch privat.
„Selbstverständlich.“ Er griff in die Tasche und reichte ihr seinen Führerschein sowie einen Umschlag, auf dem ihr Name stand. „Lassen Sie sich Zeit. Ich warte unten in der Limo.“
„Vielen Dank.“ Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, ging Lily in die Küche und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Erst dann setzte sie sich an den Tisch und öffnete den Briefumschlag.
Liebe Lily,
ich glaube, ich kenne Sie gut genug, um zu wissen, dass Sie mit dem Chauffeur und der Limousine nicht einverstanden sein werden. Bitte akzeptieren Sie sie trotzdem.
Mit dem, was Sie für mich tun, erweisen Sie mir einen sehr großen Gefallen. Gleichzeitig bringt es Ihren Tagesablauf durcheinander. Deshalb möchte ich es Ihnen durch diese kleine Geste gern ein wenig erleichtern.
Der Chauffeur hat die Anweisung, auf Sie zu warten oder, sollten Sie ablehnen, ohne Sie ins Hotel zurückzukommen. Ich hoffe sehr, das wird nicht der Fall sein. Conrad
Sie las die Nachricht ein zweites Mal und lächelte. Es stimmte: Ihr erster Impuls war tatsächlich, wie üblich den Bus zu nehmen. Aber die Fahrt mit der Limousine ließ Lily etwas mehr Zeit. Sie brauchte nicht zu hetzen, und der Tag begannweniger hektisch.
Erstaunlich, wie gut er sich in sie hineindenken konnte. Gar nicht übel für einen Pseudofreund.
Sobald sie
Weitere Kostenlose Bücher