JULIA EXTRA Band 0276
tatsächlich romantisch, aber das war es leider gar nicht. Die Blumen wurden aus rein kommerziellen Gründen angebaut, und als mein Großvater starb und mein Vater sein Erbe antrat, zogen wir aus Mailand weg und hier ein. Mein Vater war Anwalt und hatte mit Blumen nichts im Sinn. Deshalb verpachtete er das Land und arbeitete in der nächstgrößeren Stadt.“
„Hast du denn das Gefühl, nach Hause zu kommen, wenn du hier bist?“
„Nicht wirklich, da es nicht sehr lange mein Zuhause war. Nach der Universität bin ich nie wieder zurückgekehrt … außer zu Besuch.“
„Aber verkaufen willst du es auch nicht?“
„Der Gedanke ist mir schon öfter durch den Kopf gegangen, doch es ist seit Generationen in der Familie. Wahrscheinlich bringe ich es deshalb nicht übers Herz.“
„Dann birgt es sicher viele schöne Erinnerungen für dich.“
„Wenige …“ Er machte eine Pause, ehe er weitersprach. „Meine Mutter hat dieses Haus gehasst. Sie war Städterin durch und durch – in Milano geboren, aufgewachsen und fest verwurzelt. Das Landleben war für sie höchstens ein Wochenendvergnügen, nicht mehr. Sie fühlte sich hier wie eine Gefangene.“
„Dabei ist es so wunderschön!“
„Auch an eine reizvolle Umgebung kann man sich so sehr gewöhnen, dass man sie schließlich gar nicht mehr wahrnimmt und sich nur noch langweilt.“
„Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, murmelte Charlie leise. „Aber es hört sich sehr traurig an.“
„Ist es vermutlich auch.“ Er zuckte die Achseln. „Was für den einen das Paradies ist, kann für den anderen die Hölle bedeuten. Mein Vater war sehr glücklich hier und dachte, seine Frau müsse es auch sein, wenn sie ihn wirklich liebte.“
„Aber die Liebe allein reichte nicht, um sie glücklich zu machen?“
Marco lachte rau auf. „Das nenne ich: auf den Punkt gebracht! Ich vermute, mein Vater wäre sogar mit ihr nach Mailand zurückgegangen, wenn er nicht inzwischen sein Vermögen durch eine unglückliche geschäftliche Transaktion verloren hätte.“
„Und was ist stattdessen passiert? Haben sie sich scheiden lassen?“
„Nein, so etwas kam für meinen Vater nicht in Frage. Meine Mutter suchte sich einen Job in Mailand und nutzte ihn als Vorwand, höchstens noch an den Wochenenden hierherzukommen. Wir wussten alle, dass sie in der Stadt einen Geliebten hatte, aber darüber sprach man eben nicht.“
„Das muss für die ganze Familie eine sehr schwierige Situation gewesen sein“, formulierte Charlie behutsam.
Wieder dieses raue Lachen. „Ein Picknick war es jedenfalls nicht!“, erwiderte er.
Seine flapsige Antwort zeigte ihr, wie sehr ihn das Verhalten seiner Mutter damals verletzt haben musste. „Ich nehme an, dass die Erinnerungen etwas mit der These deines Buches zu tun haben?“, wagte sie sich noch einen Schritt weiter vor.
„Versuchst du, mich zu analysieren?“, fragte Marco spöttisch.
„Vielleicht.“
„Nun, ich glaube zwar nicht, dass ich durch die misslungene Ehe meiner Eltern fürs Leben gezeichnet bin, aber wenn du mit ansehen musst, wie zwei Menschen sich aus Liebe gegenseitig zerstören, bleibt das sicher nicht ohne Wirkung auf dich. Wir sind eben alle das Produkt unserer Vergangenheit.“
„Ja, so ist es wohl.“
„Jetzt haben wir aber lange genug über meine Komplexe und Traumata geredet“, sagte er ruhig. „Willst du mir nicht im Gegenzug mal etwas von deinen erzählen?“
Die fast beiläufige Frage traf einen seltsamen Nerv in Charlies Innerstem. „Ich habe keine.“
Sein Blick wurde ganz ernst. „Und was ist mit den Stahlbarrieren, die du errichtest, sobald jemand versucht, dir näherzukommen?“
„Ich weiß nicht, wovon du redest“, erwiderte sie schnell und wich Marcos zwingendem Blick aus. „Ist das Dinner bald fertig? Ehrlich gesagt, habe ich einen Bärenhunger.“ Sekundenlang befürchtete Charlie, er würde noch einmal nachhaken, doch dann ging Marco auf ihren Ton ein.
„ Si, Signorina, die Antipasti sind auf jeden Fall so weit. Wenn Sie mir bitte ins Esszimmer folgen wollen …“ Damit zog er eine zweiflügelige Schiebetür auseinander, und Charlie konnte sehen, dass im Nebenraum ein Tisch für zwei gedeckt war.
Ein perfekt inszeniertes Candle-Light-Dinner, schoss es ihr durch den Kopf. Den Tisch zierten eine blütenweiße Damasttischdecke, kostbares Porzellan und schweres Tafelsilber, auf einem Sideboard standen silberne Leuchter, und der Schein der Kerzen spiegelte sich in der polierten
Weitere Kostenlose Bücher