JULIA EXTRA Band 0276
ich schon ahnte, dass du mich für … schwul hältst. Und ich hatte recht. Nur hat mein Kuss dich offensichtlich nicht überzeugen können.“
„Doch, hat er …“, murmelte Phillippa und schaute angestrengt aus dem Seitenfenster. Die Landschaft war wirklich so traumhaft, wie man es im Internet versprochen hatte. Inzwischen wusste Phillippa auch etwas über die Entstehungsgeschichte der vier kleinen Fürstentümer, zu denen Monte Estella gehörte.
Sie besagte, dass es im 16. Jahrhundert in einem großen Nachbarland einen König gab, der fünf Söhne hatte, die alle über ein heftiges Temperament verfügten und ausgesprochen kriegerisch veranlagt waren. Somit war der Streit um die Krone vorprogrammiert. Deshalb teilte er den Süden des Landes in vier gleiche Teile auf und versprach seinen vier jüngeren Söhnen, dass jeder so lange Herrscher über sein eigenes Reich sei, solange er dem ältesten Bruder gegenüber absolute Loyalität beweise.
Leider funktionierte sein Plan nicht, wie die Geschichte zeigte. Geborenen Kriegstreibern eigenen Boden zu schenken, anstatt ihnen die Chance zu geben, sich ihn zu erobern, konnte gar nicht funktionieren. Es führte dazu, dass vier von der Natur als Paradies gedachte Länder im Laufe der Jahrhunderte durch ihre unfähigen Despoten nahezu ruiniert wurden.
Ruiniert? Phillippa starrte aus dem Fenster auf die hoch aufragenden Berge, die von Flusstälern zerschnitten wurden, in denen eine üppige saftig grüne Vegetation gedieh. Zwischen Herden von cremefarbenen und weißen Rindern lagen verstreut kleine Ansiedlungen und einzelne große Hofstellen, die wie eine Szenerie aus dem vergangenen Jahrhundert wirkten.
„Es ist wunderschön hier“, stellte sie erstaunt fest.
„Ja, eine echte Postkartenidylle, nicht wahr?“, erwiderte Max ironisch. „Aber die Realität ist nur halb so romantisch wie der äußere Schein. Du hast doch gerade am eigenen Leib einen kleinen Vorgeschmack von Hunger und Kälte erfahren. Die Menschen hier müssen damit in jedem Winter leben.“
„Wag es ja nicht, mir jetzt sterbende Untertanen zu präsentieren“, entfuhr es Phillippa, bevor sie ihre Zunge beherrschen konnte. „Dafür bin ich nicht verantwortlich.“
„Könnte ich momentan auch gar nicht, schließlich sind wir mitten im Sommer, und wie es aussieht, wird es in diesem Jahr ein ertragreicher Herbst. Im Moment ist alles im Lot.“
„Aber nicht auf Dauer gesehen, willst du damit sagen?“
„Es sei denn … aber ich habe versprochen, keinen Druck auf dich auszuüben. Mach dir selbst ein Bild. Und jetzt genieße einfach den ersten grandiosen Ausblick auf das Schloss …“ Max wies mit dem Finger aus dem Fenster, und Phillippa schnappte ungläubig nach Luft.
„Oh …!“
Keine adäquate Reaktion, aber zu mehr war sie momentan nicht in der Lage. Zwischen hoch aufragenden Bergen, deren Kuppen noch mit Schnee bedeckt waren, lag der Fürstenpalast von Monte Estella und machte seinem Namen alle Ehre.
Für Phillippa war der erste Eindruck eine Masse von leuchtend weißen Steinen, die ihr noch gewaltiger erschienen als der naturgegebene imposante Hintergrund. Ohne den Blick von dem faszinierenden Bild losreißen zu können, langte sie zu Luc hinüber und schüttelte ihn sanft, doch er schlief tief und fest weiter.
„Lass ihn“, meinte Max leise. „Er wird es noch früh genug zu Gesicht bekommen.“
Etwas in seinem Ton ließ sie den Kopf wenden. „Du magst das Schloss nicht, oder?“
„Zumindest nicht das, was es repräsentiert.“
„Und was wäre das?“
„Zu viel Macht und Reichtum auf zu wenig Menschen verteilt.“
„Aber du bist doch selbst ziemlich reich.“
„Ich habe mir mein Geld hart erarbeiten müssen“, gab er knapp zurück. „Die regierenden Prinzen haben es in Form von überhöhten Steuern von ihren Untertanen erpresst.“
Phillippa schwieg nachdenklich.
„Wann warst du das letzte Mal hier?“, fragte sie leise.
„Bis auf eine kurze Stippvisite vor meiner Australienreise seit vielen Jahren nicht mehr.“
„Gibst du diesem Platz die Schuld dafür, was mit … deinem Vater und Thierry passiert ist?“
„Meine Mutter tut es, und sie kennt die Zusammenhänge besser als ich.“
„Hmm, also schaust du auf dieses Schloss und denkst, dass es deinen Bruder umgebracht hat … nein, warte“, sagte sie, als Max protestieren wollte. „Du sprichst es nicht aus, aber es ist in deinem Kopf. Ich denke nur an ein Märchen, wenn ich es mir anschaue. Ein Psychologe
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