JULIA EXTRA Band 0276
Aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wird es mir schwerfallen, dich gehen zu lassen, Gina. Ich wünschte mir, es würde einen Weg geben, dich bei mir zu behalten.“
Seine Worte klangen himmlisch. Aber würde er noch genauso denken, wenn er die Wahrheit kannte? Wahrscheinlich gehörte dann seine Loyalität nicht ihr, sondern dem Mann, den sie am meisten hasste, und den er am meisten bewunderte. Sein Gönner Angelo Tyros – ihr Großvater?
8. KAPITEL
Die folgenden zwei Wochen waren wie der Stoff, aus dem Träume sind. Unbeschwerte sonnige Tage, die der Vorstellung vom Garten Eden alle Ehre machten – gefolgt von tiefdunklen, leidenschaftlichen Nächten, deren geflüsterte Liebkosungen und Seufzer vom Rauschen der Wellen begleitet wurden.
Weit weg von den Belastungen durch seine Arbeit legte Mikos seine autoritäre Art beinahe vollständig ab. Er war gelöst, entspannt und las Gina jeden Wunsch von den Augen ab. „Wenn du etwas brauchst, frage nur!“, hatte er gesagt. „Ruf so oft du willst zu Hause an! Schlaf aus! Mach eine lange Siesta! Lass dich verwöhnen, dafür bist du hier!“
Gina liebte die langsam dahinziehenden Stunden des Tages, die viele freie Zeit, um Gedanken und Gefühle zu ordnen. Auch Geld war kein Thema mehr, seit sie nicht mehr in der Stadt waren. Auf Petaloutha gab es die wesentlichsten Dinge umsonst. Zum Beispiel Stavroulas herzliches Lächeln jeden Morgen oder auch Dimitris sanftes Busukispiel, wenn abends der Mond aufging.
Aber das Beste war Mikos’ warmes Lächeln, nachdem sie sich geliebt hatten. Das Gefühl, das sein Lächeln in ihr auslöste, war unbezahlbar.
Gina liebte es auch, von der Katze Kiki schnurrend begrüßt zu werden, sobald sie auf die Terrasse trat. Dort konnte sie stundenlang mit Kiki auf dem Schoß in einem Korbstuhl sitzen, Kaffee trinken und lesen. Stavroula machte den besten Kaffee der Welt, wie es sich für eine exzellente Köchin gehörte.
„Bitte sag Voula, dass ich schon zunehme“, beklagte Gina sich scherzhaft bei Mikos, nachdem die erste Woche verstrichen war.
Er sagte etwas zu der alten Frau, und sie gurgelte vor Vergnügen. Dann sprudelte sie einen Wasserfall griechischer Ausdrücke hervor, die Gina unmöglich verstehen konnte, obwohl sie bereits ein paar Bruchstücke der Sprache gelernt hatte.
„Sie behauptet steif und fest, dass Männer keine knochigen Frauen mögen“, übersetzte er mit einem Augenzwinkern.
„Und magst du mich?“, hakte Gina nach.
„Oh ja.“ Sein Blick wurde dunkler. „Mir gefällt absolut, was ich sehe. Du bist regelrecht aufgeblüht, seit du hier bist.“
„Ich fühle mich auch ganz anders“, gestand sie freimütig.
Ihr war tatsächlich wesentlich leichter zumute. Sie fühlte sich beinahe übermütig, eben wie früher, bevor ihre Mutter sich verändert hatte. Als damals das Lachen verschwand, verlosch auch das Licht in den Augen ihrer Mutter. In ihrem Haus regierte seither eine erbarmungslose Einsamkeit.
Für Gina war es ein denkbar merkwürdiges Gefühl, als Elternteil eines alternden Kleinkindes zu fungieren. Ein großes Kleinkind, das zwischen Unselbstständigkeit, aggressiven Ausbrüchen und seltenen Augenblicken unbeschreiblicher Zuneigung hin und her wechselte.
Bald würde Gina dieses Inselparadies verlassen und zu ihren alltäglichen Problemen zurückkehren müssen, die nur vorübergehend auf fremden Schultern lasteten. Doch zuvor wollte sie Angelo Tyros zwingen, sich der Verantwortung zu stellen, die er jahrelang von sich gewiesen hatte.
Ihre Mutter sollte ihren Lebensabend nicht in einem Heim fristen, in dem die Versorgung nicht viel mehr als notdürftig war, während er im Luxus lebte. Aber bis der Tag der Abrechnung kam, gestattete Gina sich, ihre Zeit mit Mikos zu genießen.
Sie merkte plötzlich, dass er sie beobachtete. „Von einer Sekunde zur nächsten siehst du tieftraurig aus, Gina. Wie kommt das?“
Sie zuckte die Achseln. „Ich denke an zu Hause.“
„Tu das nicht. Wir haben noch eine Woche hier, und selbst danach musst du Griechenland nicht sofort verlassen. Dein Arzt hat dir eine Auszeit verordnet, um einen Zusammenbruch zu verhindern. Und deine Mutter kommt doch auch gut zurecht.“
„Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, dass sie von Fremden versorgt wird.“
„Laut deiner eigenen Aussage realisiert sie nicht einmal, dass du nicht bei ihr bist. Um dich abzulenken, sollten wir nach der Siesta einen Ausflug machen“, schlug er vor. „Ich bringe dich
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