JULIA EXTRA Band 0276
schloss die Augen und brachte das Wort nicht heraus. Immer war sie Daddys Liebling gewesen, doch als sie von ihrer Adoption erfuhr, brach eine Welt für sie entzwei.
„Gut“, antwortete Ivy rasch. „Ihm geht es viel besser. Er geht mit dem Hund spazieren und isst viel Obst und Gemüse. Und er bemüht sich, den Stresspegel gering zu halten. Der Herzspezialist ist sehr zufrieden.“
„Das freut mich.“
„Lange wird das nicht gut gehen. Er langweilt sich entsetzlich und grübelt die ganze Zeit, ob Max auch alles im Griff hat.“
„Du machst Witze. Max ist ganz in seinem Element.“
„Es fällt deinem Vater so schwer, alles aufzugeben. Das Restaurant war sein Leben. Vielleicht könntest du vorbeikommen, mit ihm sprechen … Deshalb rufe ich an. Magst du nicht morgen zum Mittagessen kommen?“
„Ich kann nicht …“
„Keine anderen Gäste, nur wir drei“, beschwor Ivy sie. Damit meinte sie, dass Johns leibliche Söhne nicht kamen.
Wie viel schmerzhafter musste die ganze Sache für Ivy sein. Selbst keine Kinder bekommen zu können und dann die Kinder einer Frau akzeptieren zu müssen, die jahrelang dafür bezahlt worden war, sich von John fernzuhalten.
„Im Moment geht es wirklich nicht.“
„Du arbeitest zu viel, Louise.“
Louise lächelte. „Ich liebe meine Arbeit. Und ab Montag arbeite ich für das Bella Lucia. Bis dahin habe ich noch einiges zu erledigen.“
„Dann hat Max dich überzeugen können? John wird begeistert sein.“
Wie sehr es ihre Mutter erleichterte, dass Louise der Familie verpflichtet blieb, war spürbar.
„Am Montag fliegen wir nach Meridia. Es tut mir leid, aber das Mittagessen müssen wir noch einmal verschieben.“
„Das verstehe ich. Dann eben ein andermal. Wirst du Emma treffen?“
„Ich schätze schon.“
„Dann grüß sie herzlich. Und nimm warme Sachen mit. In den Bergen kann es empfindlich kalt werden.“ Einen Moment schwieg Ivy, bevor sie weitersprach. „Louise … hast du sie getroffen?“
„Patsy Simpson?“, half ihr Louise. „Ja, wir waren zum Tee verabredet.“
Dafür hattest du Zeit, aber für Ivy findest du nicht einmal eine Stunde zum Essen …
„Oh.“
In diesem einen Laut lag so viel Enttäuschung und Schmerz, dass Louise schluckte.
„Ging es gut?“, brachte Ivy hervor. „Wirst du sie wiedersehen?“
„Wir gehen nächste Woche zusammen essen. Ich treffe ihren neuen Ehemann. Max wird mich begleiten.“
Wenn er seine Meinung nicht geändert hatte. Unvermittelt traten Louise Tränen in die Augen.
„Louise, Liebling?“
„Tut mir leid, Mum, aber ich muss auflegen.“
„Ja, natürlich. Wenn irgendetwas ist …“ Sie brach ab. „Du weißt, ich bin für dich da.“
Vom Kopf her wusste Louise das. Aber es fühlte sich an, als sei eine unsichtbare Barriere zwischen ihnen errichtet worden. Und statt ihres ehemaligen herzlichen Umgangs bedienten sie sich jetzt einer verzweifelten und übertriebenen Höflichkeit.
Ruf Ivy an. Wirf nicht etwas Gutes weg …
Max’ Worte hallten in Louise’ Kopf wider. Und nicht nur seine Worte. Er hatte ihr von seinem Neid auf ihre intakte Familie erzählt und damit zu verstehen gegeben, wie viel Glück sie mit Ivy und John hatte.
Und das veranlasste Louise, erneut nach dem Telefon zu greifen. „Mum?“
„Louise?“
„Ich komme. Bald. Versprochen …“
Max starrte auf das Display seines Handys und sah die Telefonnummern durch. Es war Samstagabend, und er hatte keine Verabredung. Das letzte Date lag weit zurück – im Dezember, noch vor Weihnachten. Angestrengt versuchte er, sich daran zu erinnern, wann er zuletzt mit einer Frau geschlafen hatte. Bevor sein patriarchalischer Großvater William Valentine gestorben und im Bella Lucia alles drunter und drüber gegangen war.
Was für eine Ironie, dass ausgerechnet er Louise vor zu viel Arbeit und zu wenig Privatleben gewarnt hatte. Er sah wieder auf das Handy. Es gab nur eine Person, die er gern angerufen hätte, aber die vergnügte sich mit ihrem unterbelichteten Australier.
Als wären alle Daten in Max’ Gehirn mit Louise’ Namen überschrieben worden. Er konnte nur noch an sie denken, an die grauen Augen, die weichen Lippen …
Da klingelte das Handy, und Max sprang auf.
Nein, nicht Louise, sondern seine Mutter.
„Georgina?“
„Max, Liebling! Wie geht es dir?“
„Gut.“ Max hoffte, sie würde ein einziges Mal anrufen, um einfach nur mit ihm zu plaudern. „Und dir?“
„Ehrlich gesagt, Liebling, geht es mir gar nicht gut
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