JULIA EXTRA Band 0281
aus?“
„Ja, oder am Pier in Rye. Dort erwischt man eimerweise Tintenfische“, sagte Tom.
„Und dann?“
„Dann nehme ich sie aus, putze sie und grille sie überm Lagerfeuer. Wer braucht schon ein Restaurant, wenn es doch das Meer gibt?“
„Ich wollte wissen, was Sie am Wochenende noch machen außer Angeln“, erklärte Maggie.
„Was machen Sie denn, wenn Sie nicht malen, Maggie?“
Das ließ sie verstummen. Nicht viel, wäre die einzig ehrliche Antwort gewesen. In Melbourne hatte sie Ausstellungen besucht oder Partys, sie hatte Kurse gegeben, eingekauft, hatte sich mit Freunden getroffen …
Hier ging sie durchs Haus, trank zu viel Kaffee und fuhr unnötigerweise durch den Ort, wenn es ihr zu einsam wurde. Und immer wieder kehrte sie an die Staffelei zurück.
Es war wie ein Zwang, das, was sie zurzeit beschäftigte, auf die Leinwand zu bannen. Wenn sie nur eine Ahnung hätte, was sie auszudrücken versuchte!
Tom leerte die Flasche und stellte sie auf den Tisch, dann blickte er in den orangeroten Abendhimmel.
„Wir haben also festgestellt, dass ich meinen feinen Geschmack in Sydney zurückgelassen habe“, sagte Tom. „Wie hat sich denn Ihr Leben seit Melbourne geändert? Was ist der größte Unterschied?“
Sie schwenkte die Flasche und beobachtete fasziniert die Bläschen. „Zum ersten Mal lebe ich allein.“
„Wie, Sie waren sonst immer mit jemandem zusammen?“
„Ja. Mein Vater hat meine Mutter und mich verlassen, als ich sechzehn war. Innerhalb derselben Woche bin ich zu meinem damaligen Freund und seiner Familie gezogen – was nicht länger als zwei Wochen gut ging. Trotzdem habe ich seitdem nie mehr allein gelebt.“
„Und jetzt können Sie kommen und gehen, wie Sie wollen und mit wem Sie wollen. Sie brauchen niemandem Rechenschaft abzulegen. Das hat doch Vorteile, finden Sie nicht auch?“
„Schon. Aber ich vermisse das Gefühl, der Tag habe zu wenig Stunden. Die Zeit erstreckt sich hier wie der Horizont: endlos.“
„All diese unbekannte Zukunft, die vor einem liegt“, fasste er zusammen und drückte genau das aus, was sie empfand.
„Ja, das macht mich nervös“, gestand Maggie.
„Ich hingegen fühle mich ausgesprochen wohl dabei“, gestand Tom. „Nichts wird jemals so, wie man es sich vorgestellt hat. Ich habe gelernt, keine Erwartungen mehr zu haben. Da wird man wenigstens nicht enttäuscht. Und oft genug sogar angenehm überrascht.“
„Das funktioniert bei Ihnen?“
„Das funktioniert bei mir“, bestätigte er ernst und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, was seine kräftigen Muskeln zur Geltung brachte. „Obwohl ich zugeben muss, dass ich mich am Anfang etwas einsam gefühlt habe.“
„Ich kann mich nicht beklagen. Mittwochs kommen meine Freundinnen, außerdem habe ich Smiley, und einmal in der Woche liefert der Gemüsemann aus Rye mir Lebensmittel ins Haus. Der ist allerdings sehr wortkarg. Und seit Neuestem habe ich Sie.“
Endlich wandte Tom sich ihr zu. Und sie fragte sich, ob sie es nur gesagt hatte, weil sie eine halbe Flasche Bier getrunken hatte. Nein, sie hätte es auf jeden Fall gesagt.
Sie hoffte, dass Tom am Ende der kommenden Woche nicht ganz aus ihrem Leben verschwinden würde. Vielleicht konnten sie ja Freunde werden und zusammen angeln oder zum Bowling gehen?
Wem willst du da etwas vormachen?, fragte sie sich dann. An Bowling dachte sie wirklich nicht.
Sie setzte sich aufrecht hin und wollte ihm gerade sagen, es wäre jetzt wohl besser, sich zu verabschieden, da öffnete er die Tüte Kartoffelchips und hielt sie ihr hin. Was konnte sie nun anderes tun, als einige zu nehmen und sich wieder bequemer hinzusetzen? Obwohl plötzlich Spannung in der Luft zu liegen schien.
„Ich hätte da eine Frage an Sie“, begann Maggie bemüht beiläufig. „Finden Sie, es war dumm von mir, spontan dieses alte Haus zu kaufen?“
„Es heißt, Immobilien seien die beste Investition“, erwiderte Tom und fügte humorvoll hinzu: „Selbst wenn das Haus einstürzt, haben Sie immer noch genug eigenen Grund und Boden, um ein Zelt aufzustellen.“
Bei der Vorstellung, dem Haus könne etwas zustoßen, wurde Maggie ganz elend zumute. „Im Schlafzimmer hängt an einer Stelle die Tapete herunter“, erzählte sie. „Und obwohl es mich von Anfang an in den Fingern gejuckt hat, die Tapete abzureißen und nachzusehen, was sich darunter verbirgt, traue ich mich nicht. Ich habe Angst, dass dann womöglich das ganze Haus zusammenbricht.“
Tom lachte
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