JULIA EXTRA Band 0281
gewesen.
„Möchtest du noch etwas von der gebratenen Ente oder ein Dessert?“
Es war der längste zusammenhängende Satz, den er während des Dinners von sich gegeben hatte. Aber Tamsin hatte tatsächlich mehr als reichlich gegessen. Ein weiterer Grund, weshalb sie sich nach einem richtig bequemen Jogginganzug sehnte.
„Nein danke. Aber es gibt etwas anderes, was ich möchte.“
„Deine Freiheit, plus einem Flugticket nach Marokko?“
Tamsin lachte nervös auf. Genau das war es, was sie tatsächlich wollte, aber so leicht ließ sie sich nicht von ihm fangen. Deshalb schüttelte sie lächelnd den Kopf, legte die gefalteten Hände auf die Tischplatte und schenkte Marcos einen, wie sie hoffte, ernsthaften, aufrichtigen Blick.
„Ich möchte wirklich gerne wissen, was mein Halbbruder und Aziz getan haben, um sich deinen Hass zuzuziehen.“
Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als würde ihre Neugier endlich befriedigt, doch dann verschloss sich sein dunkles Gesicht, und er streckte fordernd die Hand aus.
„Komm mit auf den Balkon, von dort aus kannst du übers Tal bis zum Meer schauen“, erklärte er im Ton eines Reiseführers.
Nur widerwillig nahm Tamsin ihre Serviette vom Schoß, faltete sie sorgfältig, legte sie auf den Tisch und ließ sich von Marcos durch die offenen Türen nach draußen ziehen. „Siehst du die Lichter dort drüben? Das ist El Puerto de las Estrellas. Bekannt wurde die Stadt durch ihre Schmuggler, Diebe und Piraten.“
„Und ist es wohl immer noch“, konnte sich Tamsin nicht verkneifen.
Schlagartig verdüsterte sich Marcos’ Miene. „Auf jeden Fall, seit du hier bist“, entgegnete er hart. „Die Winters sind eine Bande von Dieben und Betrügern, und dein Verlobter ist noch schlimmer.“
Tamsin verbiss sich eine scharfe Entgegnung, da sie noch mehr erfahren wollte. Außerdem musste sie Marcos im Stillen recht geben. Sheldon hatte sie nach Strich und Faden belogen, besonders als er ihr versprach, sich um Nicole zu kümmern. Und obwohl sie Aziz nicht besonders gut kannte, wusste sie zum Beispiel, dass er eine Geliebte hatte, die er auch nach ihrer Heirat nicht aufzugeben gedachte. Ganz davon abgesehen, dass es hieß, er habe seine erste Frau umgebracht.
Eine kühle Brise, die aus dem Tal heraufwehte, ließ Tamsin frösteln. Sofort legte Marcos von hinten seine Arme um sie. „Ich bin froh, dass du hier bei mir bist.“
Unwillkürlich lehnte sie sich zurück, gegen seine warme, breite Brust. Vielleicht schätzte sie ihn ja doch falsch ein. Möglicherweise hatte er tatsächlich einen triftigen Grund, ihre Familie zu hassen. Dass Sheldon und Aziz sich in ihrem Leben mehr als nur einen Feind gemacht hatten, stand außer Frage.
War es vielleicht gar keine so gute Idee, ihn austricksen und vor ihm fliehen zu wollen? Was, wenn sie ihm die wahren Hintergründe ihrer geplanten Heirat erzählte und Marcos Ramirez um Hilfe bat …?
„Du bist der wichtigste Trumpf in meiner Hand“, raunte er ihr ins Ohr. „Ohne dich könnte ich deinen Bruder und Aziz niemals so gnadenlos schlagen.“
Tamsin schloss die Augen. Der unverhohlene Hass in seiner Stimme ließ sie innerlich schaudern, aber äußerlich blieb sie ruhig und gelassen. So viel zu ihrer Überlegung, sich ihm anzuvertrauen!
„Schon wärmer?“
„Ja“, sagte Tamsin und drehte sich in seinen Armen um. Sie waren einander so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spürte.
„Die kühle Nachtluft kommt vom Atlantik herübergeweht.“
Tamsin wandte den Blick in Richtung Meer. Im blassen Mondschein konnte sie ein schwaches Glitzern in der Ferne ausmachen. Ihr Weg in die Freiheit …
An ihrer Hüfte spürte sie einen seltsamen Druck, und als sie unter gesenkten Wimpern an sich herabschaute, sah sie etwas silbern Glänzendes aus Marcos’ Hosentasche ragen. Ein Handy!
Wenn es mir gelingt, es an mich zu bringen, kann ich Aziz anrufen, der sicher nicht zögern würde, mich mit dem Helikopter seines Onkels hier rauszuholen, überlegte sie aufgeregt.
Sie musste nur an Marcos’ Handy kommen …
Aber wie?
Küss ihn!, flüsterte eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf. Nervös fuhr sich Tamsin mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Dass Marcos auf diesem Gebiet ungleich mehr Erfahrung hatte als sie, stand fest, aber davon durfte sie sich nicht kopfscheu machen lassen!
Als Tamsin ihre zarten Finger in seine starke Hand schob und ihn mit einem betörenden Augenaufschlag
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