JULIA EXTRA Band 0281
musste sie sich eben abfinden.
Das sagte sie sich kompromisslos immer und immer wieder. Finde dich damit ab. Das war das Härteste, das man von sich selbst verlangen konnte … Aber gerade das hatte ihr über diese vier langen Jahre hinweggeholfen. Jahre, in denen sie ihr Leben völlig umkrempeln musste.
Nein. Denk nicht dran!
Auch daran musste sie sich strikt halten. Nicht daran denken – wobei sie in ihren Träumen doch genau das tat. Immerfort tauchte in ihnen eine Vergangenheit auf, die sie wie eine alte, tiefe und unheilbare Wunde quälte.
Schlimmer aber wäre, sich eine Gegenwart vorstellen zu müssen, in der ihre Sehnsüchte und ihr Verlangen gestillt würden, wenn sie damals eine andere Entscheidung getroffen hätte.
Ich habe diese Entscheidung nicht getroffen!, sagte sie sich entschieden. Das wurde mir abgenommen. Ich habe nur einen anderen Weg gewählt. Und es war die richtige Wahl – der einzig mögliche Weg.
So schwer Clare diese Wahl auch gefallen war, es wäre sehr viel schlimmer gewesen, hätte sie sie nicht getroffen. Sie hatte den Preis für ihre Entscheidung bezahlt, und allein der Gedanke daran quälte sie ungemein.
Ihre eigene Stimme riss sie aus ihren schmerzlichen Erinnerungen.
„Guten Abend, meine Herren. Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“
Sie zauberte ein fröhliches Lächeln auf ihr Gesicht, hörte zu, nickte und schrieb, so schnell sie konnte. Hoffentlich hatte sie alles richtig verstanden. Als sie alles notiert hatte, bahnte sie sich den Weg zurück an die Bar, um die Bestellung aufzugeben.
„Wie läuft es? Alles klar?“, fragte Tony, einer der Barkeeper.
„Ich hoffe es“, antwortete Clare zögerlich.
Er musste nicht wissen, dass sie nicht nur so vorsichtig war, weil sie noch nie als Kellnerin gearbeitet hatte. Dieses ganze teure Ambiente hier störte sie. Es bedrohte sie, weil es Erinnerungen an ein Leben hervorrief, das sie einst geführt hatte, und das nun für immer vorbei war. Wenigstens war sie vorher noch nie in diesem Restaurant gewesen. Sie kannte sich besser mit den klassischen Luxushotels aus, dem Savoy in London und dem Plaza in New York. Dieses Hotel war zu neu, zu unpersönlich … Überhaupt nicht nach dem Geschmack von …
Sie sah, wie ein Gast sie herbeiwinkte, und eilte zu ihm, froh über die Ablenkung. Und sie war ebenfalls froh, dass sie den ganzen restlichen Abend über pausenlos auf Trab gehalten wurde. Zwar taten ihr in diesen ungewohnt hohen Schuhen bald die Füße weh, aber sie hatte das Gefühl, recht gut klarzukommen. Auch wenn ein paar komplizierte Cocktails kurz für Verwirrung gesorgt hatten. Sie achtete stets darauf, gebührenden Abstand zu den Gästen zu wahren, und im Großen und Ganzen wurden ihr auch keine Schwierigkeiten gemacht.
Aber das war ja auch kein Wunder, gestand Clare sich zwar erleichtert, aber auch ein wenig wehmütig ein. Heutzutage bestand eine Schönheitskur für sie höchstens darin, einen eingerissenen Nagel zu feilen …
Na und?, dachte sie heftig. Joey war es egal, ob sie die Haare zu einem zweckmäßigen Zopf zusammengebunden trug oder ob sie ungeschminkt war. Er wollte nur ihre Aufmerksamkeit … und ihre Liebe.
Und beides bekam er in unendlichem Maße.
Bei dem Gedanken an Joey griff Clare unbewusst an ihre Schürze. Das Handy war zwar eingeschaltet, es hatte aber nicht geklingelt. Für ihre mütterliche Freundin Vi war es noch immer knifflig, ein Handy zu benutzen. Aber sie hatte sich bemüht zu lernen, wie man damit umging, und hoch und heilig versprochen, Clare anzurufen, falls Joey aufwachen und quengeln sollte. Joey schlief allerdings schon ganz gut durch, und wenn er einmal eingeschlafen war, meldete er sich in aller Regel nicht vor dem Morgen.
Clare servierte gerade Getränke, die sie von der Bar geholt hatte, als sie bemerkte, dass die Gäste an einem anderen ihrer Tische gerade aufbrachen. Sie ließ sie nicht aus den Augen, weil sie neugierig war, ob sie ein Trinkgeld bekommen würde. In diesem Gewerbe war man auf die Trinkgelder angewiesen, um den spärlichen Lohn aufzubessern. Jeder Penny zählte, und jeder einzelne davon würde in ihre Urlaubskasse wandern. Mit dem gesparten Geld wollte sie mit Joey und Vi in diesen Sommer an die Küste fahren.
Ihre Augen verdunkelten sich.
Wenn es das Schicksal anders mit ihr gemeint hätte, würde es so etwas wie eine Urlaubskasse gar nicht geben …
Sie unterbrach ihre düsteren Gedanken. So durfte sie nicht denken. Sie hatte die einzig richtige, die
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