JULIA EXTRA Band 0281
Gesicht. In das Gesicht, das ihr so vertraut war. Sie kannte jede Linie, jeden Zug, jede einzelne Wimper, jedes Grübchen an seinem formvollendeten, ausdrucksstarken Mund. Er sah sie aus seinen dunklen, mitternachtsblauen Augen an, und sein Blick ließ ihr Herz schneller schlagen.
Wieder sagte er etwas auf Griechisch. Sie wusste nicht, was es bedeutete – es war ihr egal. Gebannt sah sie ihn an.
Es war dieser Blick, lang und endlos, an den sie sich nun klammerte und der mehr als tausend Worte sagte. Er war zu einem Sinnbild für ihre Hoffnung geworden, dass ihr Schicksal sich zum Besten wenden würde.
Er macht sich etwas aus mir, das weiß ich, redete sie sich ein. Er tut das alles nicht nur aus Rücksicht auf mich oder weil er mein Liebhaber ist. Es ist nicht nur die übliche Aufmerksamkeit eines Mannes seiner Geliebten gegenüber. Es ist mehr als das.
Wie viel mehr, das wusste sie nicht. Aber sie war sicher, dass sie etwas gespürt hatte. Und genau das machte ihr jetzt Mut.
Dieses Gefühl durfte sie sich nur nicht zu Kopf steigen lassen und voreilig handeln. Jetzt war es wichtig, dass alles seinen Gang ging und sich entwickeln konnte.
Clare hielt inne und hob unbewusst die Hand an ihren Bauch. Sie musste sich zusammenreißen, weil sehr viel davon abhing.
Wenn ich ihm etwas bedeute, wird alles gut, sagte sie sich. Es wird alles gut.
Aber was, wenn nicht? Clare zitterte leicht.
Zu viel lag nun an seiner Reaktion. Ihr ganzes Leben hing davon ab. Ihre ganze Zukunft.
Und nicht nur ihre.
Wieder strich sie mit einer instinktiven Geste, die so alt war wie die Zeit, über ihren Bauch.
„Es wird alles gut“, flüsterte sie.
Clare ging in die Küche, um sich eine Tasse Kräutertee zu machen. Diese große, moderne Küche verschlug ihr immer noch den Atem. Wie die ganze Wohnung. Aber das galt ja auch für Xanders Wohnung in Paris und die in Manhattan.
Dass er kein festes Zuhause hatte, fand sie sonderbar.
Andererseits hatte sie ja auch keins. Seit ihr Vater vor zwei Jahren gestorben war, nicht mehr. Ihre Eltern waren beide so jung von ihr gegangen. Als sie dreizehn Jahre alt gewesen war, war ihre Mutter gestorben. Diese Tragödie hatte Clare und ihren Vater, einen Lehrer, sehr eng zusammengeschweißt. Als sie dann zwanzig war, verlor ihr Vater den hoffnungslosen Kampf gegen den Krebs, der ihn jahrelang gequält hatte. Sie war am Boden zerstört gewesen.
Diese Erlebnisse hatten sie tief getroffen. Als die Krankheit ihres Vaters rund um die Uhr Pflege erforderte, hatte sie selbstverständlich ihr Studium aufgegeben, aber nach seinem Tod hatte sie völlig alleine dagestanden. Sie ging zwar zurück aufs College, doch sie war nicht mit dem Herzen dabei.
Schließlich war sie nach London gezogen, weil die Anonymität der Großstadt ihr besser behagte – sie war weit weg von alledem, was ihr so wehtat. Dieses ungezwungene Kommen und Gehen der Stadt, in der es nur so von Menschen wimmelte, die ihr nichts bedeuteten, tat ihr gut. Sie hielt sich mit Aushilfsjobs über Wasser. Nach dem Tod ihres Vaters – eine traumatische Erfahrung für Clare – hatte sie ihre Gefühle vollständig auf Eis gelegt.
Dann plötzlich waren ihre Gefühle wieder zum Leben erwacht. Es kam völlig unerwartet. Diese Gefühle waren intensiv und erschreckend lebendig.
In allen Einzelheiten konnte sie sich an den Moment erinnern, da sie Xander zum ersten Mal gesehen hatte.
Clare war von der Zeitarbeitsfirma, für die sie arbeitete, als Ersatz für eine kranke Empfangsdame eingesetzt worden. Sie saß gerade an dem eleganten, modernen Empfang, als ein paar Männer hereinkamen. Ganz automatisch hatte sie zu ihnen hinübergeschaut – und war wie vom Blitz getroffen.
In der Mitte der Gruppe entdeckte sie den faszinierendsten Mann, den sie je gesehen hatte. Sie konnte den Blick kaum von ihm abwenden.
Er war groß, sicher an die ein Meter achtzig, und sehr schlank. Sein feiner Anzug saß wie angegossen. Er sah sehr elegant darin aus … Einfach umwerfend. Dabei war das erst die Spitze des Eisbergs. Sie hatte kaum Zeit, alles in sich aufzunehmen: das volle schwarze Haar, die gebräunte Haut eines Südländers, die überwältigend attraktiven Gesichtszüge.
Und die Augen erst! Er hatte Augen, in denen man sich verlieren konnte.
Unbehelligt vom Wachmann, der lediglich ein respektvolles „Guten Tag, Mr. Anaketos“ äußerte, eilte er mit seinem Gefolge dicht an ihr vorbei. Sie folgte ihm mit den Blicken. Genau in diesem Moment drehte er sich zu
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